Krampfloses Lowlife
- FRAUENBARTH
- 19. Okt. 2024
- 8 Min. Lesezeit
Ich blinzle und versuche meine Arme zu bewegen. Die sind bestimmt aus Gusseisen und nicht mehr aus Knochen und Sehnen und bisschen Fleisch so wie gestern noch. Durch die engen Schlitze zwischen meinen Augenlidern fällt schon viel zu viel Licht für kurz vor acht Uhr morgens. Aber der Wecker hat noch gar nicht geklingelt, der Hund schnarcht friedlich vor sich hin und pupst mir gelegentlich ins Gesicht. Aber es ist schon so hell... und Fenster und Vorhänge haben wir geschlossen, weil es ja langsam richtig frisch draußen wird.
Ich hieve mich hoch und klettere über meinen schlafenden Freund, um nach meinem Handy zu suchen. Kein Akku. Toll. Ich fische nach seinem. 11.27 Uhr. F*ck.
"F*ck!"
"Hm?", murmelt Basti verirrt und ich schicke mich an, zurück auf meinen Platz zu kommen, bevor er sich dreht und wir ineinanderfallen und uns mordsmäßig wehtun. Wäre ja nicht das erste Mal. "Ist bestimmt schon wieder sau spät, oder?", fragt er, dreht sich langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die andere Seite und schaut mich aus zugeschwollenen Augen heraus an. "Ja, f*ck! Halb zwölf und ich muss noch zu Hasi! Und der Hund ist wie immer auch keine Hilfe! Muss die nicht mal raus. Gucci, was ist los mit dir?"
Was ist los mit mir? Ich habe schließlich mindestens genauso lange geschlafen wie der Hund. "Komm auf geht's, aufstehen, Gassi!", fordere ich sie auf und ernte nur ein verschlafenes Kopfheben, das kurz darauf in ein genüssliches Gähnen mündet und sie liegt wieder gemütlich auf ihrem Platz.
Ich seufze, stecke erstmal mein Handy an, hole Geschirr, Halsband und Leine, packe die Kackibeutel ein, nehme den dicken Parker von der Garderobe, einfach nur zu Sicherheit und bewaffne mich mit Leckerlies, damit die gnädige Dame vielleicht wenigstens deswegen aufsteht.
Wir drehen eine kleine Runde im Park und unterwegs packt mich die Trauer über Donnis Tod vor zweieinhalb Jahren erneut. Ich weine ein bisschen und nehme das einfach mal so hin. Nach zehn Minuten ist auch wieder vorbei und ich freue mich über die kleine Diva, die vor mir durch den Kurpark stolziert als gehöre er ihr.
12.00 Uhr
Basti steht unter der Dusche. Ich verlasse ohne Handys die Wohnung. Gucci wird gegen zwei abgeholt, Bastis Handy hat inzwischen keinen Akku mehr und dann muss meins dableiben, weil unsere Klingel ja immer noch nicht funktioniert. Von der Küche wissen wir auch noch nichts Näheres und ich habe auch den Glauben daran aufgegeben, dass wir in diese Wohnung irgendwann mal noch irgendwie eine bekommen.
Ich bin genervt, dass wir es schon wieder nicht geschafft haben, aufzustehen wie erwachsene Menschen und dass ich erst Mittags losgehe, um das Hasi zu versorgen. Auf der anderen Seite ist das dem völlig egal, weil er ohnehin alles hat, was er braucht und ich nur dafür da bin, alles zu kontrollieren und ein bisschen nachzulegen. Also keine Gefahr im Verzug, kein Nachteil für irgendjemand und keine Sorgen, die ich mir machen müsste. Trotzdem habe ich mal wieder einen Anspruch an mich selbst nicht erfüllt und das macht mich wütend. Zufrieden bin ich hingegen mit meinem Körper, von dem ich mehr Schwierigkeiten erwartet hätte. Ich habe zwar sehr lange geschlafen, aber keine abnormen Schmerzen und von Bauchkrämpfen bin ich bisher auch verschont geblieben. Das schreibe ich jetzt mal der Pferdesalbe zu, denn sonst habe ich nichts dafür getan, dass es mir diesen Monat besser geht als sonst. Ganz im Gegenteil. Diese Woche war irgendwie der Wurm drin und umso dankbarer bin ich jetzt, dass sie nicht auch noch mit Regelschmerzen endet.
Ich laufe zu Hasi, weil ich keine Lust habe auf den Bus zu warten und zusätzlich den Weg über die Louisenstraße am Samstag besonders liebe. Auf halber Strecke bereue ich das und auch, dass ich den Parker immer noch anhabe. Der Start in den Tag war viel zu abrupt. Ich habe weder gegessen, noch getrunken, mir ist super heiß und mein Kreislauf droht damit, mich zu verlassen, wenn ich mich nicht kooperativer zeige.
13.15 Uhr
Ich steige im Kurhaus aus dem Bus aus. Mir war beim Hinlaufen eigentlich schon klar, dass ich mit dem Bus zurückmuss, aber als ich dann auf den Fahrplan gesehen habe und die alte Dame, die an der Haltestelle wartete, nach der Uhrzeit gefragt hatte, entschied ich mich, doch zu laufen. An der nächsten Bushaltestelle standen aber auch viele Leute. Nachdem mir aufgefallen war, dass Samstag ja weder ein Sonn- noch ein Feiertag ist, habe ich die fünf Minuten auf den Bus gewartet, der dann mit kleiner Verspätung auch kam. Faktisch hätte ich laufen können. Wie jedes Mal. Und tatsächlich bin ich froh, dass ich es nicht getan habe. Ich saß mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und es fühlte sich für einen kurzen Moment an wie eine Zeitreise. Irgendwie ein schöner Moment.
Ich gehe nach Hause, nehme das Paket aus dem Haupthaus mit, das erfreulicherweise am richtigen Platz liegt, und werde kurz darauf im Wohnzimmer von einem überraschend fitaussehenden Mann überrascht. "Hallo Bebi! Ist die Gucci schon weg?"
"Ne, die isst noch ihren Knochen und ich frühstücke und dann wollten wir Gassi gehen. Schau, ich hab dir schon das Notizfeld am Laptop geöffnet, ich hab nur noch nichts reingeschrieben."
Aber ich schaue nicht auf seinen Schreibtisch, sondern auf meinen.
"Du hast mir Kakao besorgt?"
Ich liebe diesen Mann einfach. "Na ja, du hattest keinen mehr und ich war sicher, dass du dir unterwegs nichts gekauft hast und da bin ich schnell losgegangen."
"Aber der Schlüssel..."
Wir haben einen Haustürschlüssel, den wir uns teilen. Wir nehmen uns vor, den nachmachen zu lassen. Seit wir hier wohnen.
"Magie."
Ich trinke meinen Kakao, trage Pferdesalbe auf meinen unteren Bauch auf und gehe mit meinem Freund und Gucci Gassi.
14.15 Uhr
Gucci geht nachhause und wir einen Dungeon. Ich versage mal wieder kläglich und beschließe, Bastis Vorschlag zu folgen und mir nochmal in Ruhe einen Charakter in World of Warcraft zu erstellen, mit dem ich in meinem Tempo lerne. Als wir vor vier Jahren das erste Mal gemeinsam gespielt haben, war er super aufgeregt, mit seine Welt zu zeigen und mir alles zu erklären und dabei sehr enthusiastisch und ich habe nicht viel behalten können und überall auf dem Bildschirm sind einfach irgendwelche farbigen Punkte und Symbole und Explosionen. Ich liebe dieses Spiel und ich liebe es, es gemeinsam mit ihm zu spielen, aber ich bin auch gerne gut in den Sachen, die ich tue. Und als DD auf Platz 4 einer 5 Gruppe im DM zu sein, ist nicht gut. 2 wäre vielleicht gut. Und ab 1 fange ich dann an zufrieden zu werden. Dann muss sich nur noch der Abstand ausbauen. Das bedeutet noch eine Menge Training.
16.30 Uhr
Ich schaue auf die Blogseite und freue mich über 5 Aufrufe. Viel mehr als erwartet. Auf Instagram sind es inzwischen 17 Profilaufrufe. Zwei mehr als gestern, oder auch nicht. Ich verbinde die Website mit Google und beginne, diesen Eintrag zu schreiben. Die Ravioli, die ich uns vorher in einen Topf zum Warmmachen getan habe, sind inzwischen verbrannt, aber dafür riecht die Wohnung jetzt schön nach Imbiss.
17.00 Uhr
Ich erstelle meinen Dämonenjäger.
17.30
Die Dusche lockt mich und ich tauche für einen Moment ab in meine kleine Dampfwelt.
18.06 Uhr
Wir machen uns auf den Weg, um uns mit dem Hund von einem von Bastis ehemaligen Studis vertraut zu machen, der uns kommenden Samstag besuchen wird. Immerhin ein Grund meine neue Jacke auszuführen. Sie ist leicht und überraschend warm. Kann mich sogar durch warme Wintertage begleiten. Wunderbar.
19.20 Uhr
Wir stehen an der Ampel an der Kreuzung am Rathaus. "Wie spät ist es?"
"19.20 Uhr.", antworte ich. Basti nickt. "Gute Stunde, voll okay." Er nickt erneut. Wir gehen nach Hause und bringen unsere Körper erstmal wieder in eine Position, in der sie sich einigermaßen okay anfühlen. Ich erzähle ihm, dass ich mir einen Char erstellt habe und er ist nicht ganz glücklich mit meiner Auswahl. "Echt? Schon wieder ein Nahkämpfer?" Ich zucke mit den Achseln. "Kann ja noch einen Weiteren machen."
Bisher habe ich eine Todesritterin und einen Priester auf Level 80, eine Jägerin und einen Druidin auf 60, eine Kriegerin auf 42, einen weiteren Todesritter auf 28, eine Magierin auf 18, eine Paladin auf 8 und einen Schami auf 10. Können also noch welche dazu kommen.
Ich esse ein bisschen was, mache ein paar Instagramposts und beschließe dann, dass es an der Zeit ist, zu Hasi zu gehen. Ich bin immer noch sehr zufrieden was meinen Körperzustand angeht. Nicht wesentlich schlimmer als sonst. Darüber bin ich echt froh. Vor vier Wochen lag ich das komplette Wochenende in Embryostellung im Bett und Basti musste sich um alles anfallende kümmern. Wie PingPong bei uns. Was mir auf jeden Fall zu helfen scheint, ist Fett zu meiden und dafür sollte man seinen Zyklus ein bisschen im Auge haben. Hab ich letzten Monat verk*ckt und ganz, ganz bitter bereut.
20.00 Uhr
Ich verlasse die Wohnung, ohne vorher auf den Fahrplan zu schauen. Ist mir gerade egal, ob ich gehe oder fahre. Schicksal. Laufen tut meinem Rücken gut und leichte Bewegung beugt zusätzlich Regelschmerzen vor, also 'ne feine Sache. Busfahren schont meinen Energiespeicher.
Kurz vorm Kurhaus sehe ich, wie die 1 an die Haltestelle fährt und das Schicksal hat seine Entscheidung getroffen. Ich laufe die halbe Strecke, bis es sich die Sache überlegt und die 11 pünktlich an die richtige Haltestelle schickt. Ich entwerfe noch ein paar Bilder für die Instagramseite von Frauenbarth und verpasse es, an der richtigen Haltestelle auszusteigen. Ich laufe die eine Station wieder zurück, bezwinge den Turm zu Bossbunny (5. Stock oder so, keine Ahnung und ich hasse den Aufzug dieses Hauses), knacke mit viel Fingerspitzengefühl und der richtigen Dosierung von Stiefelgewalt sein Burgtor und werde mit einem Knurren begrüßt. "Ja, auch Hallo! Ich fülle gerne dein Essen nach und gebe dir frisches Wasser. Wenn der Herr dann auch noch eine saubere Toilette wünscht..."
Ich werde drei mal aus dem Hinterhalt attackiert, bevor ich mich von dannen mache und der kleine Tyrann mir triumphierend nachschaut, als ich sein Revier verlasse, als hätte er mich vertrieben. Ja, Hasi halt. Morgenfrüh spielen wir dasselbe Spiel dann nochmal.
Ich checke den Fahrplan und sehe, dass ich 16 Minuten warten müsste. Gut, los geht's. Auf halber Strecke ruft mich Basti an. 19 Minuten später bin ich zuhause und er hat wohl nicht viel gehört, außer mein angestrengtes Keuchen, weil es noch überraschend warm war und mir der schwere Parker langsam eine Last wurde. Dafür wartet gleich ein Kakao auf mich und ich tippe weiter am Blogbeitrag. Eigentlich wollte ich heute den Buddy-Text fertig machen und die passenden Bilder auswählen. Davor wollten wir nach Plan an einer unserer Ideen tüfteln. Wenn, hätte, wäre, ... Der Tag war okay. Keine krassen Schmerzen, nichts außergewöhnliches passiert. Alles gut. Und trotzdem so ein bisschen... unzufrieden.
22.13 Uhr
"So, vielleicht schaffen wir es ja morgen mal wieder einen ganz normalen Tag zu haben.", sage ich als ich den Handstaubsauger weglege. "Das wäre schön.", bestätigt Basti.
Ich logge mich in WoW ein und lerne meinen neuen Dämonenjäger kennen. Mehr ist heute ohnehin nicht mehr realistisch.
0.11 Uhr
"Wir müssen für heute Schluss machen. Sorry, Bebi.", sagt er und sein Kopf klappt zur Seite. Ich bin auch ziemlich am Ende, auch wenn wir heute nicht viel gemacht haben. So ein richtiger Lowlifetag und trotzdem könnte ich irgendwie immer noch 'ne Pause brauchen, obwohl ich voller Tatendrang bin. Kopf gegen Körper. Körper gegen Kopf. Und das Ich irgendwo in der Mitte am Bitten, sie mögen sich doch einigen.
Wir gehen ins Bett und nehmen uns vor, am Morgen pünktlich aufzustehen, den Morgen flexibel zu gestalten und die Aufgaben zu verteilen, je nachdem wie es geht und nach Möglichkeit ins Fitnessstudio zu gehen. Mal sehen, wie die Umsetzung wird.
Comments