Sicherheit
- FRAUENBARTH
- 23. Apr.
- 9 Min. Lesezeit
Mal wieder dieser Moment, in dem ich am PC sitze, tausend fertige Ideen habe und keinen einzigen Satz beginnen kann. Deswegen beginne ich damit, dass mir dieser Augenblick wieder und wieder begegnet. Meistens gefolgt auf einen Abfuck-Tag mit wenig kreativ Früchten und wechselnder Produktivität im Allgemeinen.
Faszinierend, wie schnell sich unsere Stimmungen und Gefühle ändern können. Also die von uns Menschen. Manchmal ändert nur ein kleiner Satz, eine kleine Geste eine ganze Welt und das haben wir in der letzten Woche öfter erlebt.
9.30 Uhr
Ich wache auf, stehe auf und schaue auf mein Handy, beantworte die Nachrichten und schlummere noch ein bisschen weiter. Als Basti aufwacht, quatschen wir noch ein bisschen und stehen gegen zehn auf, um duschen zu gehen und anzufangen die Küche ein wenig umzuräumen. Wie es immer so ist, gibt es dann wieder was wegen der Hunde zu klären und das ist ein bisschen eine nervige Angelegenheit, weil ich mal wieder viel Mühe in etwas investiert habe, was dann mit Füßen getreten, ignoriert und zusätzlich noch gelogen wird, aber immerhin beschließen meine Agenturistin und ich, dass wir uns demnächst unbedingt auf einen gemeinsamen Wein-Abend Treffen müssen, um unsere Hundewunden zu lecken.
Dann ist auch schon elf und der Musterknabe kommt an. Mein Gassifreund und treuer Waldbegleiter, dem Magyar Viszla Finn. Ich freue mich riesig auf die Zeit mit ihm. Er ist jetzt fast einen Monat bei uns und das wird eine super Zeit. Leider ist die Küche noch nicht fertig, als er und seine Mama anreisen und es ist mal wieder ein bisschen peinlich, als sie hochkommen, der Wäscheständer im Wohnzimmer im Grunde den ganzen Blick auf den Raum versperrt und nur ein kleiner Ausschnitt auf das Hundebett zu sehen ist. Wenig einladend... unangenehmer Moment. Als würde es hier immer so aussehen... Wir haben vielleicht nicht die besten Möglichkeiten hier, aber das heißt ja nicht, dass es generell furchtbar sein muss. Individuell, aber eher auch unsere Art der Einrichtung bezogen, nicht wie in manchen Hotels auf die Ordnung und Hygiene. Es ist jetzt dann zwei Jahre her, dass wir zitternd in Leogang saßen und darauf warteten, abgeholt zu werden. Zwei Tage. Dann packten wir alle unsere verbliebenen Habseligkeiten in den Zug und fuhren auf gut Glück nach Frankfurt. Keine Ahnung wie es weitergehen, das letzte Geld für die Tickets und drei Tage Hostel aufgebraucht, aber mit dem festen Glauben an uns und unsere Zukunft. Irgendwie würden wir das schon alles hinbekommen. Weitere drei Tage mussten wir ausharren bis klar war, dass die uns versprochene Wohnung auch wirklich existierte und wir lebten zwei Wochen zwischen den Umzugskartons unseres Vermieters. Geschlafen haben wir auf unseren zusammengestapelten Klamotten und Winterjacken mit einem Spannbettlaken, weil für nichts anderes mehr Platz in der Wohnung gewesen wäre. Durch den landesübergreifenden Umzug und dem Verlust meiner Unterlagen durch das Finanzamt Immenstadt kam es dann auch noch zu einer Kontosperrung und wir hatten Tage, da haben wir unsere zehn Brötchen für den Tag mit 5 und 10 Cent Stücken bezahlt. Konnte dann mit Hilfe meiner Mama glücklicherweise alles irgendwie geklärt werden und irgendwann kam dann auch das Hotelgehalt mal an und unser Leben konnte wieder weitergehen. Wir wussten nur noch nicht so genau, in welche Richtung. Mir war klar, dass ich wieder in die Vollselbstständigkeit gehen will und deswegen hat sich mein Freund um eine Vollzeitanstellung bemüht, die er auch prompt bekommen hat. In einem Fitnessstudio. Leider hat ihm diese Zeit massiv geschadet und ich habe ein richtig schlechtes Gewissen, dass ich ihm das aufgelastet habe. Als wäre das alles nicht schon ärgerlich genug, fiel ich dann von Februar bis Februar aus. Letztes bis dieses Jahr. Meinem Basti ging es bei der Arbeit zusehends schlechter und ich war froh, als im Mai der furchtbare Vertrag auslief und er ohne großes Drama einfach gehen konnte. Leider haben wir beide die Nachwirkungen der Gesamtbelastung der letzten Jahre und unserer jeweiligen Vorgeschichten wohl zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Denn er kämpft immer noch damit. Ich bin inzwischen soweit durch, aber ich hatte ja letztes Jahr auch vier Monate Zeit in der ich nicht viel anderes tun konnte, als die Decke anzustarren und mit meinem Kopf allein zu sein. War hart, aber nötig. Ich weiß nicht, ob ich den Entwicklungsschritt der letzten paar Wochen ohne diese Zeit hätte machen können.
"Wir können gleich los.", sagt Basti und ich hole Finns Leine. Wir drehen eine Runde durch Bad Homburg, beschließen demnächst mit dem netten Mann und seinem Husky mal gemeinsam zu Frühstücken, weil er offenbar vom Kurhaus zu uns runter gezogen ist und wir seit zwei Jahren immer nur kurzen Smalltalk halten und eigentlich gar nicht wissen, wie der gute Mann heißt und kuscheln uns danach alle zusammen hin. Ist gut, auch mal wieder ein bisschen zu reden. Wir waren sehr viel vor den Bildschirmen und darüber geht das Zeitgefühl irgendwie flöten.
Als wir so da liegen, nebeneinander, etwa zwanzig Zentimeter voneinander entfernt, um die Körperwärme des anderen noch zu spüren, in Ruhe, Harmonie, jeder in seiner eigenen Welt. Ich habe ja gestern die ersten Insta-Beiträge für Frauenbarth vorbereitet und ohne es zu wissen, war die Thematik perfekt. Ich denke über den Unterschied zwischen Entfernung und Entfernung nach. Wir liegen nebeneinander, Welten entfernt und waren doch schon lang nicht mehr so verbunden. Ist es nicht das größte Glück, sich in der Nähe seines Partners so sicher zu fühlen, dass man für eine Weile völlig in seine Gedankenwelt abtauchen kann?
Ich lausche der Musik, lasse mich von ihr forttragen und vor mir eröffnet sich eine abstruse Welt aus Schwarz und Weiß. Erinnerungsfetzen und Gefühle. Der Korridor der Türen. Sind wir kürzlich schonmal in Castlevania drüber gestolpert und ich mag den Gedanken, weil er sich gut mit meinem Glauben verbinden lässt. Ich rede nicht oft über meinen Glauben und denke auch nicht allzu oft drüber nach. Er ist allgegenwärtig, mal präsenter, mal im Hintergrund. Vielleicht ist es der Moment, vielleicht das Ableben des Papstes, das mich nur aus menschlichen Aspekten und nicht aus institutionellen irgendwie wehmütig stimmt. Und vielleicht ein bisschen sorgenvoll, was folgen könnte.
Ich bin getauft worden, aber nicht katholisch erzogen worden. Ich habe einen Grundüberlick über die Weltreligionen - wirklich selbst betroffen gefühlt habe ich mich nie. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Glaube einer der wichtigsten Antriebe des Menschen ist. Ich habe meinen nie von anderen Abhängig gemacht, auch wenn ich mich dafür interessiert habe, um meine eigenen Ansichten zu erweitern, prüfen und auszubauen.
In diesem Moment bin ich wieder etwa zehn oder elf Jahre alt, vielleicht sogar jünger - ich erinnere mich nicht recht. Der Sternenhimmel leuchtet durch das Dachfenster auf mein Gesicht und ich denke darüber nach, was wohl nach dem Tod auf mich wartet und warum ich hier bin, wie lange ich hier bleiben muss und das ich mich nach dem Ende auf dieser Welt auf jeden Fall dafür entscheiden werde, in die nächste Dimension zu gehen. Mein Glauben gründet sich wohl an eine Mischung aus Wiedergeburt und eigener Entscheidung, ein bisschen Vorhersehung und etwas von aufrichtiger Verbindung.
Im Grunde könnte ich mich auch einfach als Agnostikerin bezeichnen. Wird schon einen Grund haben, warum die Leute glauben, dass ihr Glaube der richtige ist. Dann ist er es für sie wohl auch und vielleicht schaffen sie ja dadurch ihr eigenes Paradies, ihre eigene Hölle oder ihrer unendliche Schleife auf Erden in verschiedenen Körpern. Wer kann das schon sicher sagen und wen geht es überhaupt was an, außer die Person, die es betrifft? Also die, die glaubt? Mein Glaube nimmt dir nichts und dein Glaube nimmt mir nichts und es wird sich wohl auch weniger auf das Unausweichliche auswirken. Sehr wohl aber darauf, wie wir mit anderen umgehen und deswegen bin ich kein Fan von Glaubensgemeinschaften. Sie können unglaublich stark sein. Und genau das ist das Problem. Stärke erfordert Verantwortung und die hat im Großen und Ganzen erstmal das Oberhaupt und dann seine vielen kleinen Stellschrauben. Alles ist toll, solange die Verantwortung für diese Rolle auch ausgeführt wird, damit eine stabile Sicherheit innerhalb der Gläubigen und zwischen den Glaubensgemeinschaften bestehen kann. Wird diese Verantwortung aber durch etwas anderes verschoben, sei es Idealismus, Habgier, Machtsucht, ect. passiert, was passieren muss. Die Stärke wird nicht mehr zur Sicherheit, sondern zur Gefahr. Und dennoch bin ich der Meinung, dass wir eine konstantere Gesellschaften hätten, wenn sich noch mehr Menschen den großen traditionellen Glaubensrichtungen verbunden fühlten... Dann gäbe es wenigstens noch ein paar Grundregeln, an die sich ein Individuum zu halten hat. Also "Nieder mit den Kirchen" ist auch nicht die Lösung, wie wir gerade mehr und mehr sehen, sondern Teil des Problems. Jetzt scheinen die Menschen irgendwie in einer Suppe der Ungewissheit was das eigene Verhalten, den Platz in der Welt und die Zukunft angeht, zu schwimmen. Aber vielleicht kommt mir das auch nur so vor, weil wir gerade irgendwie gestrandet sind.
In der Freiheit. Das erste Mal. In unseren Leben. Völlige Entscheidungsfreiheit. Mein Freund hatte mit einigen seiner Zwängen zu kämpfen, das Bodybuilding war ein wenig, damit fertig zu werden, verleitet leider aber auch dazu, einfach nur zu "verschieben". Und das kann, wie wir an etlichen Beispielen in unserer beruflichen Karriere und privaten Laufbahn als Fitnessmember gesehen haben und Basti oft am eigenen Leib zu spüren bekommen hat. Krasse Diäten, extreme Trainingseinheiten, fragwürdige Supplements, ect.
Ich war nie der Bodybuilding-Fan, aber ich wusste, wie sehr er das in diesem Moment brauchte. Ich wusste auch von Anfang an, dass er super unglücklich mit sich selbst wird, wenn er bei seinem ersten Ziel: "Offene Klasse" weitermacht. Ich habe aber auch immer darauf vertrauen können, dass er rechtzeitig reflektiert, bevor er sich zu weit in etwas verfängt, was eigentlich gar nicht zu ihm gehört. Inzwischen waren wir seit knapp zwei Monaten nicht mehr im Fitnessstudio und werden unsere Verträge vermutlich auch kündigen. Was die sich geleistet haben, war so oder so unter aller Sau, der Service ist furchtbar, die Geräte sind defekt und werden nur mäßig bis gar nicht gewartet und es ist schmutzig, der Kaffee ist ungenießbar und die Stimmung beschissen. Warum sollten wir dafür gemeinsam fast 100 Euro im Monat ausgeben, wenn wir sowieso viel lieber zuhause trainieren und mit den Hunden unterwegs sind? Aber ich weiß auch, dass er noch seine Zeit braucht, bis er das loslassen kann. Es ist ein Symbol. Für einen Neuanfang. Der für ihn noch nicht genau definiert ist und ich verstehe, wie verloren er sich gerade fühlen muss, weil ich das selbst erlebt habe, nachdem meine Donni vor drei Jahren gestorben ist. Es gab immer einen Lebensplan. Und der ist mit ihr gestorben. Es hat bis jetzt gedauert, dass ich so langsam wieder anfange selbst zu leben, das auch wahrzunehmen und mir eine neue Zukunft erschaffen kann. Trauer. Sie kann sie ein unsichtbares Tuch sein, das dich in eine Zeitschleife hüllt und erst wieder freigibt, wenn du bereit bist, es vom Winde verwehen zu lassen.
Und deswegen ist Glaube so wichtig. Ich glaube, meinem Freund ist gar nicht bewusst, wie sehr er mir mit seinem eigenen Glauben geholfen hat, diese Zeit der Zeitlosigkeit zu überstehen.
Die Gedanken rinnen dahin wie meine Tränen und ich fühle mich etwas leichter. Ich habe mich an den Ursprung meiner Glaubensfindung erinnert, eine mehr frühkindlichsten Erinnerung an die Neugier an andere Welten und dem Bewusstsein, hier bei meiner Mama, die mir die Schönheit des Lebens zeigt und einem Papa, der meine Ernsthaftigkeit, eine Aufgabe zu haben, dem Grundgefühl, mein Gegenstück schon auf der Welt zu wissen und den Drang, gleich in die nächste Dimension zu wechseln, allmählich zu vergessen. Das war ein schöner und wichtiger Moment.
Finn liegt an unseren Füßen und die Musik wechselt. "Bagira", meine Österreich-Hymne. Erstens, weil ich den Flow mag, zweitens, weil es mich an ganz wundervolle Menschen erinnert, die ich sehr ins Herz geschlossen habe und drittens, weil es mich an ganz hässliche (beziehe mich hier auf den Charakter, alles andere ist Geschmackssache - ich hätt's nicht gekostet) Personen erinnert und daran, dass ich damals nach ein paar Wochen meine Eier endlich wieder gefunden habe und der Bitch dann mal nach Feierabend sagen konnte, was ich von ihr halte, um dann einen eineinhalb stündigen Vortrag über die allgemeine Unfähigkeit hier, was schief läuft und "was sich diese fucking bitch überhaupt einbildet wer sie ist" in fließendem Englisch vor einem der besagten tollen Menschen zu halten. Hierzu muss ich erwähnen, dass mein Englisch sich in der Regel im Niveau des unteren Mittelfelds einpendelt... aber, wenn ich wirklich richtig sauer bin, fällt meine Anstandsbarriere und ich habe vollen Zugriff auf mein Hirn. In diesen Momenten sollte man mir nicht blöd kommen oder manchmal gar existieren, deswegen gibt es nur ausgewählte Menschen, die ich dann noch in meine Nähe lassen kann, aber immerhin fand nicht nur ich meine Ausführung bemerkenswert, sondern auch der arme ungarische Hilfsarbeiter, der ihr die ganze Zeit über brav schweigend beigewohnt hat und mir am Ende sein ehrliches und sehr ausführliches Feedback dazu gab, bevor er zu Basti ging und meinte: "Eh bra, didn't know your wife's able to speak so fluently, fasz kivan."
"Haha, yeah, think, she was really angry."
Er kennt mich halt. Lustigerweise habe ich diesen Abend auch mit einem Hündchen verbracht, aber mit einem menschlichen, das mir auf Schritt und Tritt nachgetapst ist und wohl der Hauptgrund für den Ärger meiner Serviceleitung, die wiederum meinen Ärger verursacht hat, gewesen sein mag. Ist halt doof, wenn man seit zwei Jahren nicht mehr ge... worden ist und der 17 Jährige dann der Alten nachspringt, die eh schon mit ihrem heißen Kerl auf den Berg gekommen ist. Versteh ich schon, aber kann ich auch nichts dafür und das ändert ja nichts an meiner Arbeit. Führte aber dazu, dass ich pünktlich Feierabend gemacht habe und nach meinem Auskotzen mit dem Hündchen an der Bar saß und einer unserer lustigen Gäste sich mit Basti drüber lustig gemacht hat, dass er offenbar nicht checkt, dass da so gar nichts läuft. So mal wieder weg vom Gastroschwank und zurück von der Gedankenwelt in die Realität und meinen heutigen Tag.
15.00 Uhr
Wir stehen auf, gehen Gassi und einkaufen.
17.00 Uhr
Der PC fährt und und ich beginne erstmal mit diesem Beitrag. Die anderen schreibe ich danach.
18.26 Uhr
Ich werfe einen Blick auf die Uhr und stelle fest, dass ich diese Zeit für alle Beiträge und nicht für einen eingeplant hatte und Social Media auch noch auf dem Programm steht. Für alle meine Unternehmungen. Aber jetzt schreib ich erstmal nach.
21.01 Uhr
Wir sind gerade fertig mit essen und ich bin zufrieden, dass ich wenigstens davor noch alle Texte für Frauenbarth fertiggestellt habe. Finn wollte nicht rausgehen, weil es ein bisschen nieselt, also setze ich mich jetzt an die Gestaltung der sozialen Medien und wir gehen mit ihm, wenn er sich meldet, dass er raus muss.
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