Bitches & Chaosstreusel
- FRAUENBARTH

- 28. Nov. 2024
- 14 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Apr.
Ein bisschen Hass, ein bisschen Liebe, ein bisschen, ist vielleicht mal an der Zeit, anzufangen zu reden.
10.00 Uhr
Der Wecker klingelt. Ich drücke auf Schlummern.
"Na, war da jemand die ganze Nacht wach?"
"Kann sein..." Er zieht mich an sich heran und drück mich fest an sich. "Konntest du wenigstens gut schlafen?"
"Nein."
"Oh, tut mir leid, ich wollte dich nicht stören."
"Alles gut, Bebi. Aber irgendwann müssen wir trotzdem aufstehen."
"Ja... ha... glei..."
Er ist ja so süß. Wenn er so im Halbschlaf ist, sucht er nach meiner Hand oder kuschelt seinen Kopf an mich, wenn er merkt, dass ich so in bissl im Struggle bin.
11.20 Uhr
"Komm, stehen wir auf."
"Ja glei..."
"Oh f*ck!"
"Was?"
"Keine Ahnung, aber irgendwas passt nicht."
Er liegt da wie ein Stein mit Schmerzen. Ich weiß nicht, was ich tun kann, weil wir nicht wissen, was genau das Problem ist.
"Dusche?"
"Kann nicht aufstehen."
Weitere grausame Minuten später. "Okay, ich halt's nicht mehr aus. Versuchen wir's."
Der Weg ins Bad kann lang sein.
"Ohje, Bebi, kein Wunder. Wärst du ein Pferd, müssten wir dich jetzt notschlachten oder releasen. Wow, so dick. Alles so geschwollen... Platzt fast. Ist halt leider mehr als flächendeckender als Kreuzverschlag." Manchmal muss man es halt mit Humor nehmen und n bissl Quatsch erzählen.
Glücklicherweise ist er ja auch kein Pferd und deswegen müssen wir ihn jetzt auch nicht töten, weil sich seine Muskulatur offenbar nur sehr hart verspannt. "Ja, übern ganzen Rücken, gell?"
"Ja, sieht schon krass aus."
Das heiße Wasser bringt ein bisschen Linderung, aber toll ist was anderes.
Ich besorge schnell einen USB-Stick bei Saturn. Also weniger schnell, weil ich zwar nur ins Einkaufszentrum gegenüber muss, aber leider bisher immer dachte, der Laden wäre einfach klein und hätte halt nur so Handyzubehör und so. Wer kauft schon eine Waschmaschine mitten in der Fußgängerzone? Hab ich einfach hingenommen. Glücklicherweise kam gerade eine Paketlieferung und die hat mich auf die Treppe zur nächsten Etage aufmerksam gemacht. Ist ja auch gar nicht peinlich, dass ich schon zehn mal dran vorbei gelaufen bin.
Oben finde ich dann alles. Zum Beispiel tolle Kühlschränke und dann fällt mir auf, dass ich lange keinen mehr gesehen habe. Bin gespannt, was unser Vermieter heute zu sagen hat, nachdem er ja offenbar beschlossen hat, seine Bedenkzeit, in der er sich lieber mal gar nicht meldet, und die ihm tatsächlich so auch nicht zusteht, weil abgemacht, abgemacht ist und er ja einfach nur die günstige, die mittlere oder die teurere oder die ganz teure Version hätte absegnen müssen. Wir bezahlen seit März für die teurere, wären aber trotzdem mit der günstigen glücklich gewesen, weil uns ja ganz weirde Umstände hierher geführt haben und wir happy sind, dass wir nicht umziehen mussten. Aber die billige war zu billig, die mittlere irgendwie auch nicht so das wahre und auf alles weitere, was ich dann in einem zweistündigen Gespräch mit einem sehr netten Mitarbeiter von XXXLutz online geführt habe, wurde dann einfach nicht mehr reagiert.
Ich hab auch keinen Lust auf einen Rechtstreit, aber ich würde mein Geschirr gerne wo anders als in der Dusche spülen, zumal das für meinen Rücken wirklich ganz fatal ist.
"Guck, habe das gefunden."
"Ja, genau das meinte ich."
Er ist ja ein Fuchs. Er zieht sich die nötigen Updates einfach über seinen Laptop auf den Stick und installierst sie auf meinem Tower. Scheint auch erst zu funktionieren.
"Ach, was soll das denn?"
"Was?"
"Dieses Update ist für dieses Gerät nicht verfügbar."
"Toll und jetzt?"
"Warte."
Er schickt eine Nachricht raus und fragt, ob mein neuer PC übers Wochenende schnell wo anders wohnen darf, um sich einrichten zu lassen.
"Sonntag hätte er theorethisch frei.", melde ich.
"Ach, das klappt eh wieder nicht."
"Ja, armer Kerl."
"Lassen wir ihn in Ruhe, er hat genug um die Ohren. Kriegen wir auch so hin, ich hab eine Idee. Wir müssen zum Bahnhof runter, ich glaub das Päckchen ist schon da."
"Haben bis 16.00 Uhr erst Anlieferung von gestern."
"Ja, aber als wir gestern kurz drin waren, kam die Tageslieferung grade rein und ich glaub, da habe ich es schon liegen sehen."
Wir sind gestern wieder gegangen, weil's super stressig war dort - wie eigentlich immer und die Mädels da drin echt richtig klasse Arbeit leisten und ganz viel Abfangen, was andere verbocken. Tiefsten Respekt vor ihnen. Der neue Junge, der mithilft, scheint auch motiviert zu sein.
Das ist schön. So langsam verändert sich das Bild wieder ein bisschen. Wir sehen in letzter Zeit, dass die Unternehmen, groß wie klein, bemüht sind, fähige Mitarbeiter zu bekommen und wieder eine gewisse Struktur zu schaffen. Andere gehen halt in die andere Richtung, aber das ist wohl normal, wenn alles im Wandel ist. Wir konzentrieren uns auf die guten Seiten.
"Nein. Nein. Nein. Das passiert jetzt nicht wirklich." Er starrt auf sein Handy und sackt zusammen. "Was?" Er zeigt's mir. "Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll."
"Nichts."
Er geht ins Schlafzimmer und setzt sich aufs Bett. Ich setzte mich neben ihn.
"Ich weiß auch nicht, was wir tun können."
"Nichts. Wie gewonnen, so zerronnen. Warum gönnt man mir eigentlich gar nichts?"
Mal wieder einer dieser Momente... Wie Ende Juli, als aufkam, dass das Musikvideo in dem er mit einem ausm Gym als Gladiator zu sehen gewesen wäre, doch nicht veröffentlicht wird, weil sich Agenda und Produzent in die Haare gekommen sind. "War trotzdem ein tolles Erlebnis." Da konnte ich leider noch nicht dabei sein, weil ich eine Fahrt bis Köln noch nicht geschafft hätte. Und manchmal brauchen Jungs auch Jungszeit, das hat er eh viel zu wenig. Gibt aber auch keinen geeigneten Mann gerade mit dem eine stabile, erwachsene Freundschaft möglich wäre.
Diesmal gehört nur keine coole Erinnerung dazu, sondern einfach nur ein: zu früh gefreut.
"Rufen wir deine Mama an?"
"Ja."
"Hast du Zeit?"
"Ja."
"Wir haben sehr schlechte Laune. Wir werden gleich schreien und weinen und das hat nichts mit dir zu tun. Hab dich sehr lieb."
"Das ist okay."
"Du bist nicht erreichbar." "Bin ich. Auf welchem Handy soll ich anrufen?"
"Auf meinem. Dem hier."
"Okay, erzählt."
Wir erzählen einigermaßen ruhig und mit wenigen Kraftausdrücken, weil wir keine Kraft mehr haben.
"So ist das Leben halt. Ich auch auch meine düsteren Zeiten hinter mir."
"Ja, Mama, das wissen wir doch."
"Ja, aber es geht darum, immer wieder aufzustehen."
"Aber wenn die Kraft nicht reicht..."
"Dann müsst ihr trotzdem weitermachen, sonst wird's nicht besser."
Wir werden ruhiger und sie muss zur Therapie. Wir gehen zum Bahnhof und treffen die süße Ältere. "Ihr schon wieder!"
"Ja,, wir schon wieder, abr diesmal zu einer besseren Zeit."
"Dann lasst mich mal sehen, was ich für euch hab."
"Ah schau hier hab ich den Zettel. Vielleicht ist es noch nicht da."
"Ach doch, ich glaub schon."
"Muss dir übrigens sagen, dass deine Felgen super cool sind." Sie schaut mich kurz verwirrt an. "Haben dich neulich an der Kreuzung vorbeifahren sehen.", klärt Basti sie auf. "Achso ja." Sie lacht und gibt mir mein Päckchen. "Aber leider sind nur die Felgen auf den Winterreifen pink."
"Dann stichst du wenigstens aus der Masse raus, alle packen im Sommer bunte Farben aus. Du machst die triste Jahreszeit fröhlich. Ist doch toll.", findet Basti. Sie strahlt bis über beide Ohren. "Und danke für eure tolle Arbeit hier jeden Tag und eure Zuverlässigkeit."
"Sehr gerne. Wir freuen uns auch über Google-Bewertungen."
"Wird sofort gemacht."
Basti ruft den Vermieter zurück. "Ja, also, wir haben das jetzt intern besprochen und wir müssen ehrlich sagen... also in die Wohnung, da wollten wir etwas anderes rein haben."
Ich bin froh, dass er das regelt. Weil ich so wütend bin, dass ich nur noch weinen kann.
"Jetzt muss wenigstens eine Sache funktionieren."
Sie funktioniert nicht. "Okay, auf zum Handyladen."
Auch unbefriedigend, aber nicht anders zu erwarten. Wir wollen gerade raus, da kommt eine süße schwarze Labradorhündin rein und begrüßt mich. Wir machen kurz Bekanntschaft, was der Typ, der sie reinschleift gar nicht bemerkt. Er entschuldigt sich für die Unhöflichkeiten seines Tieres und tut dann das, was man als alter, deprimierter Geldsack mit Bitch, die ein viertel so alt ist und die den neuen Tradwifetrend zumindest beim kuschen ernst zu nehmen scheint, was man von einem solchen Exemplar erwarten würde. Er reißt an der Leine und schleudert die Hündin am Hals vor sich auf den Boden. "Wollen Sie mal nicht lieber ein bisschen Höflichkeit an Ihrem Hund walten lassen? Was haben Sie denn für Manieren?"
"Sie haben doch keine Ahnung! Die braucht das!" "Oh, und ob ich eine Ahnung habe und das sehr offensichtlich mehr als Sie! Das braucht kein Lebewesen."
Bitchy kommt pflichtbewusst mit beschwichtigendem Schmollmund vorgewackelt: "Ich verstehe jetzt das Problem gar nicht!"
"Ja, das glaube ich, Schatz."
"Ich bin Polizeihundeführer gewesen!"
"Ja, bestimmt. Aber ich bin wirklich Tierpflegerin und ich rufe jetzt das Veterinärsamt an."
"Haha mach das doch. Du hast doch keine Ahnung. Der Hund braucht Zuckerbrot und Peitsche."
"Okay."
Ich tu mir bei sowas sehr schwer. Ich habe in meinem Leben so viel Unrecht gesehen und mein Maul halten müssen, weil es die, die ich liebe, in unmittelbare Gefahr gebracht hätte. Mein Pferd. Wenn du wissen willst, was böse ist, werfe einen Blick in einen Reitstall.
Ich weiß auch, dass es nichts bringt, beim Vet-Amt anzurufen, weil die auch nichts machen können. Es geht nur drum, dass mal jemand was sagt, wenn in der Öffentlichkeit solche Abscheulichkeiten passieren. Ich sehe durch die Glastür und der Alte schlendert seelenruhig mit seiner armen Bitch und dem verängstigten Hund durch den Laden.
Ja, er kennt es ja auch nicht anders.
"Veterinärsamt Hochtaunuskreis."
"Ja, hallo, Barth hier. Ich möchte mich erkundigen, was ich in einem Fall tun kann."
Ich schildere den Fall. Zu emotional, aber nicht schlimm, weil der Alte jetzt rauskommt und mir nochmal was über Hundeerziehung erzählen will. Er ist auf Lautsprecher.
"Sie hören die Problematik?"
"Ja. Polizei rufen. Mehr kann ich Ihnen jetzt leider auch nicht sagen, aber die sind zuständig."
Ich rufe bei der Polizei an und der wirklich nette Herr führt mich exzellent durch die Situation, obwohl's grade echt schwer mit mir ist und der Alte immer noch Zwischen blökt. Alle schauen uns an und das ist auch gewollt so.
Unrecht und Gewalt öffentlich geschehen zu lassen macht ja alles nur noch schlimmer.
Weil wir alle die Straße runterlaufen, wird das mit den Hausnummern schwierig, weil ich keine Landkarte bin und nur sagen kann, was ich sehe, aber der Typ am Telefon ja unbedingt wissen muss, wie Bad Homburg aussieht. Basti kann das Gespräch retten, in dem er sich die Visitenkarte organisiert hat. Bevor der Alte noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen lässt, von zwei so Assis, die wegen ihm de Polizei rufen müssen und der Frau, die immer nur quiekt, dass sie das alles ja gar nicht verstehen kann, gibt er lieber mal klein bei. Ändert nichts für diesen Hund oder diese Trady, aber gibt vielleicht ein bisschen ein Denkanstoß.
BTW Hessen: Wie wär's mit der spannenden neuen Erfindung "Hundegeschirre"? Halsband ist so alt wie der Flow von Homburg. Champagnerluft und graue Haare. Herzlichen Glückwunsch. Damit rühmt man sich.
"Ah, der Mann hat also gesagt, er wäre ein Kollege von uns?"
"Offenbar, aber das kann er ja auch nur so gesagt haben."
"Und Sie sind noch gleich, Frau Barth? Vom Veterinärsamt?"
"Fast richtig. Frau Barth, aber das Vet-Amt hat mich lediglich an die Polizei verwiesen. Ich bin Tierpflegerin und habe den Vorfall gesehen. Im Laden sind Kameras. Es ist also nachvollziehbar. Das ist kein tolerierbarer Umgang. Nicht für einen Hund, schon gar nicht für einen Polizei- oder Schutzhund, was sie offenbar nicht ist, sondern einfach ein ängstlicher Labrador eines alten weißen Mannes mit Egoproblemen." Ja, ich sag ja, weniger professionell, sehr wertend, aber leider war es halt auch das Klischee, über das gerade überall berichtet wird. #yourbodymychoice Egal ob du eine Bitch oder eine Bitch bist oder vielleicht einfach nur ein Randomwesen.
Mein Trost ist hier ja, dass diese Menschen bestimmt schreckliche Seelenqualen ertragen müssen, weil sie ja mit sich leben müssen. Mein Frieden. Ich hasse nicht viele, aber die, die es auf meine Liste geschafft haben, denen wünsche ich so in ein richtig, richtig, richtig langes Leben. Das ist nämlich immer ein guter Wunsch. Es lässt die Chance offen, sich zu entwickeln oder halt seine Hölle auf Erden durchleben. Und denen, die man lieb hat, kann man's auch wünschen, aber da füge ich halt ein gesundes und glückliches hinzu, anstatt mich in einer langen Spirale zu wiederholen. Ist ein Weg, mit den Dingen klarzukommen. Zumindest für mich.
"Wunderbar, Frau Barth. Dankeschön, ich habe alles aufgenommen, die Handynummer habe ich auch notiert. Dürfen wir Sie für Rückfragen kontaktieren?"
"Jederzeit gerne. Danke für Ihre Hilfe und sorry für das Chaos."
Was die Polizei und die Hunde angeht, haben wir hier bisher gute Erfahrungen gemacht. Schnell und freundlich, hilfsbereit und echt überraschend empathisch für Menschen, die nicht unbedingt mit Tier arbeiten müssten. Nur in den Verkehrssachen werden die hessische Polizei und wir uns nicht so einig, aber offenbar ist das halt so. Augen zu und durch, wer überlebt, überlebt. Gestern hatten wir zum Beispiel Glück als wir ausm Gym kamen. Ein Autofahrer wollte ausparken und das ist dort halt echt blöd. Wäre aber machbar, wenn alle angepasst fahren würden. Aber wir sind in Bad Homburg, wer sollte sich an Regeln halten?
Auto schert aus, anderes Auto fährt voll drauf zu, weicht noch über Radweg- und Bürgersteig knapp vor uns aus und fährt rechts vorbei.
"Joa, die hätten uns jetzt um ein Haar getötet."
"Jup."
Man stumpft ab und mit sowas hab ich ja Erfahrung. Wird irgendwann wie im Film. Und ich lebe ja noch. Gut, dass es Allgäu einen Winter gibt. In meinem Film bringt der Eisberg die Titanic (hab den nie gesehen) nämlich nicht zum Sinken, sondern rettet mich davor, vom Flying Corsa zerdetscht zu werden.
"Aus Liebe."
Hab an dem Abend dann mein Handy abgegeben, damit ich nach München statt aufs Polizeipräsidium fahren kann und hatte eine Nacht Auszeit. Bedeutete auch 48 Stunden oder länger keinen Schlaf. Hatte meinen Tierheimjob kündigen wollen, aber bin dann auf Teilzeit geblieben. War ab diesem Vorfall wieder öfter dort bis ich das erste Mal ganz abgekackt bin. War keine so glorreiche Zeit.
Ich sehe auf die Visitenkarte. Bei über 30 Jahren Berufserfahrung in der Immobranche wundere ich mich dann doch, wann er die Zeit hatte, Polizeihundeführer zu werden. Ich mein, das ist ja jetzt auch nicht so super einfach und man braucht so gewisse Voraussetzungen. Seh' ich da nicht. Aber das ist ja nur meine subjektive Beurteilung.
Was ich allerdings beurteilen kann, ist, ob eine Maßregelung gerechtfertigt ist. Ich bin selbst oft übers Ziel hinausgeschossen, gerade als Kind. Aber ich hatte Eltern, die mir Verständnis und Ethik beibringen konnten, auch wenn sie irgendwie in ihrem eigenen Hamsterrad saßen. Das haben sie echt gut gemacht. Und natürlich all die Tiere, die ich im Laufe meines Lebens kennenlernen durfte. Und ein bissl Berufserfahrung hab ich ja auch, teilweise mit ausgezeichneten Fachpersonen. Also nein, du musst deinen Hund nicht am Halsband auf den Boden werfen. Was sollte das für einen Sinn haben, außer zu demonstrieren, dass du ein Arschloch bist?
Ehrenmänner halt.
"Warum muss das immer passieren, Bebi?"
"Ich weiß es nicht. Es tut mir leid, dass ich da jetzt so einen Aufstand gemacht habe, aber wenn ich das sehe, muss ich halt was sagen und wenn es gar nichts bringt, dann ist ein Exempel nötig. Öffentlicher Druck. Die einzige Waffe, die ich in diesem Thema habe."
"Alles gut, Bebi. Du hast richtig gehandelt und ich steh immer hinter dir, das weißt du."
"Ja. Ich liebe dich!"
Natürlich nicht nur deshalb. Er ist wunderbar. Mein kleines Überraschungspaket.
"Ich habe echt Schmerzen. Legen wir uns hin?"
"Ja, hilft ja nichts. Ich kann kaum mehr gehen. Wenn ich mich aufregen muss, macht alles dicht, dann fühl ich mich wie du heute morgen in der Dusche ausgesehen hast."
"Halt! Stopp! Halt mich da raus!" Er lacht ein bisschen, vielleicht weil er jetzt nicht mehr um das Thema herumtanzen muss, weil wir endlich wieder Zeit zum Reden haben und nicht alles nur zwischen Tür und Angel klären müssen. Da kommt's nämlich gern zu Spannungen wegen Missverständnissen. Und nachdem 21 alles völlig aus dem Ruder gelaufen war, gab es bis Juni auch keinen ruhigen Moment mehr.
"Ich hab mit der Sache gar nichts zu tun! Das habt ihr beide schön allein verkackt. Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass das völlig okay für mich ist. Aber ich was hätte ich mich einmischen sollen?" Ich gucke. "Da ist so viel ungeklärtes zwischen euch, das hätte mal aus der Welt gehört."
"Ja, stimmt wohl. Aber... wahrscheinlich kann sie da gar nicht so viel dafür..."
"Na ja, es gibt immer zwei Seiten. Du warst in einer Scheißsituation."
"Sie auch. Das tut nichts zur Sache. Diejenige, die die Klärung blockiert, bin ich. Glaube ich."
Chaosstreusel
"Kennst du das, wenn du denkst, du hättest noch ein bisschen Zeit?"
"Ja..."
"Machst du dir keine Sorgen, dass sie irgendwas vorhat?"
"Ihn für sich haben wollen?"
"Ja..."
"Ne. Das macht sie doch schon seit 'nem Jahr."
"Ja. Aber wir kannst du das?"
"Weil ich selbst schuld bin."
"Oh... warum?"
"Weil ich beschlossen hab, dass das jetzt so sein muss und ihm nicht zugehört hab als er gesagt hat, er will nicht."
"Und warum?"
"Ja keine Ahnung. Weil ich dachte, dass ihn das glücklich machen kann und ich selber so kaputt war. Und außerdem. Ja.
Hat wehgetan, als du dich zu mir umgedreht hast und gesagt hast, du hast jetzt ne Freundin."
"Ja. Das glaube ich. Und warum aber das alles?"
"Wenn ich das wüsste, hätte ich ihn nicht dazu zwingen müssen. Der arme Junge alter. Ich hab Übung wegen du weißt schon wem, aber manchmal wird mir trotzdem schlecht."
"So schlimm?"
"Schlimmer. Weißt, was traurig dran ist?"
"Er ist es, oder? Er ist der Mensch, mit dem du dein Leben verbringen wirst."
"Ja."
Wir schweigen. Ich hätte was sagen können, aber finde meine Eier nicht und es ist auch nicht unbedingt der beste Tag dafür.
"Was ist das Traurige?"
"Dass alles gut war. Ich bin endlich mal angekommen und hab mich das erste Mal seit ganz vielen Jahren sicher gefühlt."
"Und dann bist du auf die Suche nach Chaosstreuseln für deinen Becher voll Glück gegangen, ja?"
"Joa, irgendwie schon."
Schweigen. Moment verpasst.
"Wie ist das so, dieses Polyleben?"
"Wär bestimmt cool. Würd mir liegen, glaub ich. Ihm auch. So sind wir halt."
"Hm... ich hab ja in der Vergangenheit auch schon über andere Beziehungsformen nachgedacht..."
"Hm ja..."
Schweigen. Moment verpasst. Themawechsel. Wäre vielleicht schlauer gewesen, sie drauf hinzuweisen, dass sie mir das liebste Chaos ist. Aber "Lass das arme Mädchen in Ruhe und zieh's nicht mit in dein Unglück. Das hat's net verdient.", hallt die Stimme meiner Mum in meinem Kopf nach und sie hatte recht. Und trotzdem fühlt es sich so an, als hätte ich ihr damit ihre eigene Entscheidung genommen. Vielleicht will ich sie auch einfach in keine Situation bringen, in die mich die Leute dauernd gestellt haben. Sie mit meinen widerlichen Gefühlen belästigen und sie damit zu zwingen, bei mir zu sein. Vielleicht, und das erscheint mir am wahrscheinlichsten, wenn ich es so aufschreibe, habe ich aber auch einfach Angst, dass das Tor sie das Tor für immer schließt und mir damit endgültig verloren geht.
"Ja... aber denkst du nicht, dass wir unseren Standpunkt ihr gegenüber klargemacht haben?"
"Nein, das hab ich nie. Nie wirklich. Und jetzt... jetzt ist f*cking viel Zeit vergangen. Ich kenne ja nicht mal ihren aktuellen Beziehungsstatus und ich will sie auch nicht in eine Scheißsituation bringen, in dem ich mich aus dem nichts heraus bei ihr melde. Das wäre super unhöflich und grenzüberschreitend."
"Ja. Stimmt schon."
"Und ja, natürlich denke ich manchmal an sie." "Wir haben auch in den fünf Jahren unser Beziehung keinen Menschen getroffen, mit dem wir auf Dauer eine Chance auf Glück gehabt hätten außer sie."
"Das ist wahr. Aber ich wollte nicht ungerecht sein. Verstehst du das? Ich hab dich gesehen und wusste, du bist es. Fertig. Zwischen ihr und mit ist, ja so viel Ungeklärtes, das ist wahr und das ist nicht ihre Schuld. Und ich wollte ihr gegenüber nicht ungerecht sein, aber auch dir gegenüber nicht, weil sie und ich eine Vorgeschichte haben. Das hätte uns zum Start unserer Beziehung nicht gut getan. Wir waren viel zu kaputt."
"Stimmt auch."
"Und außerdem hab ich halt keine Eier."
"Das auch."
"Find's gut, dass wir uns einig sind. Und was sollte ich jetzt zu ihr sagen: 'Hi, wir haben dir zwar nichts zu bieten, aber erinnerst du dich noch? Ich bin die, die einfach gegangen ist, ohne sich von dir zu verabschieden, der du verziehen hast, die dich wieder hat stehen lassen hat, der du dann wieder verziehen hast in gewisser Weise und die dann nochmal gegangen ist, ohne ein Tschüssi weil in Mitten in der Nacht: Hey, bist du grad in der Nähe? Wir ziehen in zwei Tagen in ein anderes Land. wirklich keine Verabschiedung ist."
"Ja, schön, dass wir jetzt reden können."
"Find ich auch. Schicksal. Das Thema hatte ich irgendwann mal mit ihr, wusste nicht wie ich die Nachricht deuten soll? Hab ich dir das mal erzählt?"
Natürlich habe ich das. Ich habe ihn wochenlang damit genervt. Er nickt und lächelt, wahrscheinlich, weil er recht hat. Zumindest von meiner Seite ist vieles unausgesprochen, aber ich weiß ja auch nicht, was ich sagen sollte.
"Aber manchmal schreib ich über sie. Ein bisschen. So hat sie die Chance, es zu sehen und das draus zu machen, was für sie gut ist."
"Find ich nett."
Wir schlafen noch ein bisschen und besorgen uns dann eine Lösung fürs Internet. Hätten wir auch vorher drauf kommen können, aber ist auch Budgetsache und wenn du zwei Pflegefälle bist, musst du als Haushalt haushalten.
Ich räume noch auf, weil morgen die Klempner kommen und ich erstmal alles auf meinen neun PC laden muss. Norton, WoW, was ich halt gleich brauche. Nebenbei schreibe ich den Eintrag, mache essen für Basti, esse selber nichts, weil ich nicht essen kann, wenn mein Kopf mich auf Zeitreise schickt.
Ein Tag mit gemischten Gefühlen.
"Weißt du, wer mich viel mehr aufregt, als der dumme alte Kerl?"
"Die dämliche Bitch?"
"Ja. Weil die das legitimieren. Er könnte das nicht machen, wenn sie es nicht mitmachen würden."
"Ja. Das Problem ist halt, dass ich ihr glaubte, als sie sagte: Ich verstehe das alles nicht."
"Ja... Aber ich bin trotzdem wütend. Wegen sowas haben Frauen, also halt echte Frauen, so wie du, es im Leben so schwer. Ja, er ist in altes Arschloch. Nicht okay. Aber was soll das? Die war zwanzig oder so? Lernen die denn gar nichts?"
"Wo's Geld gibt."
Ich lese ihm vor, was ich dazu geschrieben habe, während er es sich gedacht hat. "Konform?"
"Völlig."




















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