Falscher Film
- FRAUENBARTH
- 24. Nov. 2024
- 6 Min. Lesezeit
7.30 Uhr
Der Wecker klingelt, ich drücke auf schlummern und checke meine Nachrichten. Kann noch fünf Minuten weiterruhen.
"Hey Jana, wir sind so um viertel vor da." Gut, weitere fünf Minuten weiter die Äuglein zu machen.
"Hi, sorry, wird doch acht."
"Alles klar, bis gleich." Augen zu.
7.57 Uhr
Ich stehe auf, nehme meine Jacke aus der Gassibox und schlurfe nach unten, um die Mädels willkommen zu heißen. Es ist Sonntag, die Straße ist tot und ich bin froh, dass ich niemanden begegne außer meinen Hundemädels und ihrer Menschenfreundin. Wir tauschen uns kurz aus, ich nehme die Futtertasche und die Leinen und dann sind wir auch schon auf dem Weg zurück nach Hause, um uns zu Basti zu kuscheln und vielleicht tatsächlich noch ein bisschen zu schlafen.
13.02 Die Granddame gibt mir einen nassen Guten-Morgen-Schlafmütze Kuss a là "Ich küss dein Auge, Schwester" und streichelt danach mit der Pfote kurz meine Stirn. "Ja, alles klar, ich steh auf." Wir kennen uns jetzt fast dreizehn Monate, aber erst die letzten paar Wochen sind wir so richtig im Einklang. Hatten beide unsere Päckchen zu tragen und jeder braucht manchmal ein bisschen Ruhe. Wir haben wunderbar in Wohlgefallen coexisitiert, aber inzwischen würde ich uns sogar als gute Freunde bezeichnen. Das freut mich sehr, weil sie wirklich eine harte Nuss ist. Dudu ist sowieso schon startklar für ihre Mittagsrunde und mein Freund sieht einigermaßen okay aus, aber war schon besser.
Wir gehen gemeinsam Gassi und tauchen danach in die Welt von Warcraft ein. Wir finden kurz drauf einen Grund zum Streiten und ich bin echt abgefuckt. Der Grund ist auch echt dumm. Er braucht ein Tuch, ich renne konditioniert los, um eins zu suchen (da klatschst halt manchmal durch) und er kommt sich vor, als wäre er sein Vater, weil ich mich verhalte, als würde ich noch immer in einer meiner früheren Beziehungen stecken. Er wird hauptsächlich wütend, weil er sagt, dass er mich schon immer hinfallen sieht in den Momenten und Angst hat, dass ich mir richtig wehtue. Und wir brauchen wirklich nicht noch mehr Schmerzen. Damit hat er recht, aber ich bin trotzdem böse auf ihn, weil ich ihm ja nur helfen wollte. "Kannst du das mal lasen?", fragt er.
"Nein. Das kann ich nicht.", sage ich und schmolle die nächsten zwei Stunden. Ich hab zu wenig geschlafen, mein Rücken und mein Bein Zicken und irgendwie hängt der körperliche Flashback, den ich gestern nach dem Schreiben des Blogeintrags auf einmal hatte, noch nach. Lange her, dass sowas passiert ist, aber ist wohl ein Zeichen der Aufarbeitung. Hässlich im Moment, wenn du auf einmal merkst, wie alles um dich rum zu Wanken beginnt und du noch irgendwie ins Bad kommst, dann da aber erstmal für zwanzig zeitlose Minuten im Vierfüßerstand festhängst und versuchst zu atmen und die Übelkeit nicht überhand nehmen zu lassen. Geht vorbei, aber ist einfach anstrengend und sorgt nicht unbedingt für die beste Stimmung. Möglicherweise ist deswegen auf die Triggerwarnung für Frauenbarth auf Instagram etwas heftig ausgefallen, aber ich mag's. Bisschen Orwell, bisschen Hostel, bisschen Hannibal und im Zentrum des Geschehens die Opferlämmer. Unsere Exfreundin hat mal gesagt: "Das Leben mit euch ist wie in einer meiner Serien." Mag aber auch dran liegen, dass sie sonst nichts anderes kannte... oder konnte. Opfer... Kannst du sehen wie du willst, aber was ich für mich gelernt habe, ist, das es heilsam sein kann, zu akzeptieren, in manchen Situationen ein Opfer zu sein. Hüte dich nur davor, es dir von jemand anderem einreden zu lassen... Gradwanderung und die Vertrauenssache... Halten wir fest, Opfer - ein Wort mit so vielen Bedeutungen wie Gefühlen. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich Sprache liebe?
Mein Dämonenjäger kann leider immer noch nicht auf die Dracheninseln zurück, weil das Portal verschwunden ist und ich noch keine Lust hatte, der Sache auf den Grund zu gehen. Außerdem sollte meine Jägerin endlich mal in die Wertung gehen. Leider fliege ich erst zum Allianzeingang und dann kriege ich einen Nervenzusammenbruch, weil ich zwei Mal sterbe und immer noch ich am richtigen Boraluseingang stehe. "Wo ist dieser sche*ß verfickte Eingang?"
"Zu was?"
"Keine Ahnung!"; schreie ich ihn an. "Was weiß ich, wo ich bin. Aber ich muss da rein."
"Ja, aber wo bist du denn und wo willst du hin?"
"Keine Ahnung! Hab ich doch gesagt! Ach vergsiss' es!"
Ich schlage meine Hand auf die Tastatur, während er versucht mit via Laptoptastatur mein Chaos zu beseitigen. "Ja, die Tastatur ist auf englisch eingestellt, die Caps sind an, kein Wunder, dass nichts funktioniert."
"Ja, als ob ich dumm bin oder?" Ich stehe auf und zische aus dem Zimmer. Die Granddame hebt den Kopf als ich ins Schlafzimmer komme. Ich lege mich zu ihr und mache meine Augen zu. Kurz drauf kommt Basti rein. "Du musst den Stress rausbringen. Ich halte das momentan nicht aus. Und das macht meine Schmerzen schlimmer."
"Fick dich! Ich bin müde und will meine Ruhe."
Ich mache meine Augen zu und öffne sie gegen sieben wieder. Ich gehe ins Wohnzimmer, gucke nach meiner Meute und schmolle weiter. Meine Schmerzen sind auch schlimmer. Immer wenn ich traurig bin, aber ganz besonders, wenn ich wütend bin.
"Willst du mit zum Abendgassi?", fauche ich ihn an, um eine Versöhnung zu erwirken. "Ja, in einer halben Stunde.", patzt er zurück und damit haben wir Frieden geschlossen.
Wir gehen Gassi und die Mädels bringen uns wieder gute Laune. Zumindest so gut es geht.
Wir zocken noch ein bisschen und ich suche mit meiner Todesritterin eine Gruppe, damit sie diese Woche nochmal ihre Schatzkammer aufwerten kann. Aber ich finde keine passende Gruppe, also melde ich einen Timewalk an. Der Tank ist ganz verwirrt und offenbar ein Frost-TD (was keine Tankklasse ist) und der Heiler geht off. Der nächste Run wird noch absurder und mein kleiner Fuchs stirbt leider an Aggro. Der Priester, der ewig vor ihrer Leiche rumlungert, hat offenbar kein Interesse dran, sie wiederzubeleben oder den anderen beim Bosskampf seinen Schutz zu gewähren und als ich endlich releasen kann, lande ich wieder am Anfang. Gecleared ist nicht und nachdem ich das zweite Mal an irgendwelchen dummen Wachen sterbe, schreibe ich schnell ein Sorry und gehe offline.
Bei Basti ist es auch nicht besser gelaufen und er hat starke Kopfschmerzen. "Ich bin inzwischen sehr sicher, dass das dieses Hausarzt-Arschloch war.", stellt er nüchtern fest. Vor etwa vier Jahren war er mal wieder wegen Migräne und seinem Rücken in Blaichach beim Hausarzt und Sportmediziner, der der Meinung war, er kann das richten. "Seit die groben Sachen gerichtet sind, merke ich halt, was sonst noch wehtut."
"Kenne ich."
Die groben Sachen sind mit Atemnot im Bett liegen (er) oder vor Schmerzen schreiend unsere eigene Version des Horrorkrebshauses meiner Kindheit reviveln. Nach den vier Monaten, in denen ich hier in meinem Bettchen vor mich hin kragelt habe, konnte ich wenigstens die Kitty-Theorie bestätigen. Wenn du "Der blutige Pfad Gottes" gesehen hast, sollte sie und ihre Geschichte ein Begriff sein. Zivilcourage und Hilfe, bzw. unterlassene Hilfe. Der Film selbst dreht sich zwar um die mögliche darauffolgende Selbstjustiz, aber dennoch kann ich nun aus Evidenz bestätigen, dass sich keiner verpflichtet fühlt, mal nachzusehen. Aber das wusste ich eigentlich auch davor schon.
"Release!" ist übrigens auch eins dieser spannenden Wörter. Wenn es aufgeregt gerufen wird, hat das meist nichts Gutes zu bedeuten. Im besseren Fall hast du nur deinen Char in einem Dungeon oder einem Schlachtzug draufgehen lassen, im schlechteren Fall bist du gerade in der Tierarztpraxis. Nur dass das Tier nach dem releasen nicht mehr aufsteht.
"Wollen wir noch Arcane schauen oder bist du zu müde?"
"Ich kann eh nicht schlafen.", sage ich.
Dudu liegt zwischen uns und ich lege auch keinen Arm rüber. Weil heute ich das Mädchen bin. Kommt nicht oft vor, aber heute fühle ich mich einfach zickig und nicht zum ersten Schritt bereit. Die erste der neuen Folgen verwirrt mich ein bisschen. Eine Dimensions- und Zeitreise. Schön, aber ich bin nicht sicher, wie sie das jetzt in zwei Folgen noch sinnvoll auflösen wollen alles. Die vorletzte Folge ist auch gut, aber ich bin immer noch nicht geflashed. Mag auch an meiner scheiß arsch Laune liegen. Wer weiß das schon. "Ich schaffe die letzte Folge heute nicht mehr.", sagt er und ich weiß, wie traurig ihn das macht. Mich auch, aber ich werd sie eh nicht genießen können. Wir gehen noch schnell ins Bad und legen uns hin. "Okay, doch, weil ich sonst nicht einschlafen kann."
Die Folge beginnt und er legt seinen Arm zu mir, damit ich seine Hand nehmen kann. Das mache ich dann irgendwann auch.
Das Staffelfinale beginnt stark und endet grandios. Meine Mauern brechen und ich weine ab (wahrscheinlich) der ersten Minute. Loslassen und so. Manchmal schwer und manchmal leicht. Das Ende einer Serie musst du ja auch erstmal anfangen. Irgendwie greift die Folge alles auf, was wir die letzten Wochen so besprochen haben, in der ein oder anderen Weise und der dreiäugige Rabe zum Schluss killt mich.
"Wir müssen Game of Thrones anschauen." Eine Welt, in der ich mich damals wohler gefühlt habe als in meiner Realität. Ist ja auch weniger dreckig und verwerflich. Und die meisten Charaktere haben wenigstens irgendeine eigene Motivationen, was ich nicht von allen Darstellern in meinem Leben behaupten kann.
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