Hundetränen & Gastrogeflüster
- FRAUENBARTH
- 21. Dez. 2024
- 15 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Apr.
9.00 Uhr
Der Wecker klingelt. "Kann noch nicht aufstehen."
"Ich auch nicht."
Wir hatten heute Nacht noch ein kleines Beispiel für Fehlkommunikation und vermeidbarem Stress. Der kleine Frosch hat beim Schlafen gehen angefangen, an Basti zu nagen und wollte auch gar nicht damit aufhören. "Pass auf mit ihr.", warnte er mich als ich mich dazu legte und sie zu mir gewackelt kam. Sie biss mit ihren Mopszähnchen an meiner Hand rum und begann dann zu Nuckeln. "Ja Bebi, die ist nicht wütend, die ist durstig."
"Aber du hast ihnen doch gerade das Wasser nochmal aufgefüllt und es war den ganzen Tag was da."
"Ja, aber wir wissen ja nicht, wie das zuhause aussieht und wenn sie nachgeschaut hat, kurz bevor ich das Wasser gewechselt habe, kam sie vielleicht mit ihrem ungünstigen Körper nicht mehr gut ran und hat aufgegeben."
"Hm."
Ich stehe auf und bringe die Wasserschüssel. "Schau mal, Froschi. Tust was trinken, dann wird's gleich besser." Froschi hüpfte begeistert her und ich halte ihr die Wasserschüssel so, dass sie mit ihrem Nicht-Kopf auch bequem trinken kann. "Mal sehen, ob ich recht hab." Ich brachte die Wasserschüssel wieder an ihren Platz und der Mops biss weiter an meinem Freund umeinander. "Ich glaube, die ist einfach grumpy."
"Gib ihr zwei oder drei Minuten. Das dauert ja bis die Botenstoffe im Hirn sind und sie weiß, dass sie keinen Durst mehr hat."
"Aber..."
"Schau sie dir an. Du sagst selbst, es ist nicht viel Platz für Hirn und dafür ist sie sehr schlau und macht alles super, lass ihr die Zeit, die ihr Körper halt nun mal braucht, um alles einzuordnen."
Ich hab sie in den Arm genommen und noch ein bisschen an meinem Handballen nuckeln lassen. "Und viel zu früh von der Mama weg. Da brauch ich die Geschichte gar nicht zu kennen. Wenn sie acht Wochen im Wurf war, ist viel."
"Coronahunde halt."
"Traurig."
Sie brauchte wirklich ca. zwei bis drei Minuten bis der Kopf wusste, dass der Durst jetzt gestillt ist und sie sich an meine Füße auf ihren selbstgewählten Schlafplatz legen kann.
"Sag ich doch."
"Ja, ok. Du hattest recht. Sorry, Froschi. Ich hab dich einfach nicht richtig verstanden."
"Ist mein Tierheimvorteil. Du bist halt mit Privathund groß geworden, deswegen tust du dir jetzt im Allgemeinen leichter als ich mit unseren Hundis, aber bei so specials bin ich einfach im Thema. Man sieht halt viel und kriegt so einiges mit."
Sowas Schlimmes von der Grundveranlagung her hab ich aber zugegebenermaßen auch selten gesehen. Mops ist halt nicht gleich Mops. Es gibt inzwischen Sportmopse. Die können atmen und viele Dinge tun, die ein Hund halt so tut. Und dann gibt es die Puppen ohne Nase. Brachyzephalie nennt man das oder in Deutsch Kurzköpfigkeit. Das betrifft auch andere Rassen wie bspw. die französische Bulldogge. Ich verstehe die "Liebe" zu solchen Rassen, weil es ganz oft wundervolle Charaktere sind, die in diesen gequälten Körpern stecken, aber gerade deswegen kann ich es nur in Anführungszeichen setzen. Mit der Kurzköpfigkeit kommen nämlich einige Probleme auf das "geliebte" Wesen zu und das weiß man halt auch schon, bevor es geboren wird. "Aber wenn sie schon mal da sind..." - dann hol dir ein Tierschutztier (von einem tatsächlichen Tierschutzverein und nicht an der Autobahnraststätte). Ist auch so ein bisschen eine Schuldfrage. Wie wenn man ein Steak kauft, aber selbst nicht schlachten will. An dieser Stelle möchte ich nochmal JEDEM Menschen Achim Grubers "Kuscheltierdrama" ans Herz legen, weil man ganz viel lernen kann. Auch über Menschen, wenn man sich nicht für Tiere interessiert. Ich habe mein Exemplar auf dem toten Berg verliehen und hoffe, dass es auch gelesen wurde. Zwei Jahre ist es jetzt her, dass wir in Österreich ankamen und ein bisschen über eineinhalb, dass wir dort auch wieder weg sind. War für länger geplant, aber kurz vor Ende der Saison ist mir leider der Kragen geplatzt und ich musste dem Geier sagen, was ich von ihnen halte. Diese Geschichte wird im Laufe von Frauenbarth immer mehr Sinn ergeben. Weihnachten klatscht mit einer ganzen Menge Erinnerungen auf mich ein, aber diese Woche hatte ich kaum Zeit, auch nur einen Gedanken zu Ende zu denken. Ich hab Froschi und die große Schwester unglaublich lieb gewonnen, weil sie clever sind und sich so viel Mühe geben und ich bin jetzt schon verzweifelt, wenn ich dran denke, dass ich sie heute Nachmittag wieder nach Hause schicken muss. Es wurde zwar angefragt, ob sie nochmal einen Tag länger, also bis Sonntag bleiben können, aber die Ladies haben leider unsere komplette Planung der letzten Vorweihnachtswoche gesprengt, mir einen Extraausflug zu den Mädels beschert und das mit dem Geschenkeeinkaufen verhindert. Alles nicht so schlimm, die Woche zehrt vielmehr an der Psyche als am Körper, wobei der Schäferhund (mit ordentlich Gewicht und viel Energie, die sie nicht abbauen zu können scheint) auch sehr an Bastis körperlicher Gesundheit gefressen hat. Die LWS ist richtig beleidigt (kenn ich ja) und das Knie, das ihm seit Anfang 2025 wieder richtige Probleme bereitet, nachdem sich aus dem Nichts die Kniescheibe einfach mal 'ne Lageveränderung überlegt hat, macht wieder ganz bedenkliche Geräusche und seinem Gesichtsausdruck nach tut's auch ziemlich weh. Er rennt natürlich trotzdem mit der großen Schwester durch die Gegend und spielt mit ihr, aber ich sehe, dass der kritische Punkt schon am Dienstag überschritten war. Mein Herz blutet, aber letzten Endes ändern wir mit diesem einen Tag die Situation der Hunde nicht und machen uns nur für alle anderen weiter kaputt und wir sind halt ein großes Rudel, da geht es nicht, dass wir die anderen links liegen lassen, nur weil zwei Neue nicht klarkommen. "Du kannst sie nicht alle retten.", hallt die Stimme meines Vaters in meinem Kopf. "Aber ich kann's versuchen.", denke ich mir und wenn es nur ein paar Stunden sind.
Der kleine Frosch kommt in meinen Arm gekrabbelt und ich streichle ihren Nacken, weil es keinen Kopf zum streicheln gibt. "Ihr passt aufeinander auf, ja?", bitte ich sie. Die große Schwester legt ihren Kopf über Basti und schnauft mich an. "Ja, du passt auf Froschi auf, dass sie die Menschen nicht so stresst und sie passt auf dich auf, dass du die anderen Hunde in Ruhe lässt, okay?"
Sie haben eine gute Dynamik entwickelt und regulieren sich gegenseitig soweit es geht und so wie sie es halt denken, dass es richtig ist. Schwierig, wenn man offenbar wenig kennt und vielleicht ein bissl reifeverzögert ist, aber dafür schlagen sie sich gut durch.
9.20 Uhr
"So, jetzt müssen wir aber trotzdem langsam mal aufstehen und Gassigehen, okay?"
Froschi ist nicht so überzeugt, aber die große Schwester ist Feuer und Flamme. Samstag vor dem 4. Dezember. Beste Zeit, um jetzt mit einem explosiven, völlig unerzogenen Schäferhund die Louisenstraße zu kreuzen, aber uns bleibt ja nichts anderes übrig. Froschi steuert mitten durch und die Große ist leider zu aufgeregt, um auf ihren Pipiplatz vor Edeka zu gehen, weil gefühlt eine Million Leute durch die Innenstadt pilgern. Der Mops ist ganz enttäuscht als sie auch dort ankommt und weiß jetzt nicht, was sie tun soll. Sie hat auf die Woche gelernt, dass wir es nicht gut finden, wenn sie ihre Notdurft einfach verrichtet, wann sie das für richtig hält, also in der Wohnung (das kann man einem Hund auch verbal erklären, man braucht halt ein wenig Geduld und muss ein bisschen beobachten und oft genug rausgehen und dann ist es keine Garantie, aber Gewalt würde das Problem immer verschlimmern!), also imitiert sie was das angeht seit zwei Tagen einfach die große Schwester. Wenn die Pipi macht, macht die Kleine Pipi. Aber wenn halt nicht, ist Froschi irgendwie verloren. Im Park klappt's dann bei beiden. Basti tritt in ein Loch in der Wiese und hinkt den Rest der Runde zurück.
Wir gehen direkt zurück und nicht mehr bei Rewe vorbei, aber ich hab genügend zuhause, um Frühstück machen zu können. Zur Küche haben wir übrigens nach wie vor keine Info und auch der vermutlich nicht existierende Elektriker hat sich nicht gemeldet. Köszönöm szépen, Vermieter. Sind keine Ungarn, aber Köszi ist aufm toten Berg irgendwie mein Danke im ernstgemeinten, wie ironischem geworden und mit der Erinnerung daran, kommt die Sprache auch wieder ein bisschen zurück.
21.12.
Die 21. sind Donnitage. Ich denke jeden Tag an sie, aber am 21. ganz besonders. Am 21.11.2004 zog sie zu uns ins Allgäu und ich wäre so gerne heute mit selbstgebackenen Keksen und Möhrchen im Stall, um mit ihr den Winter zu feiern. Den Schnee, die Ruhe, die damit einhergeht. Einen unserer stundenlangen Ausritte durch die Wälder unternehmen und die Welt einfach Welt sein lassen. Was zählten waren wir und die Momente, die wir erlebten (und manchmal auch zusammen überlebten).
Aber vergangen ist vergangen und alles Wünschen hilft mir nichts, denn ihr Körper ist längst Asche.
Deswegen hatten wir am 21.12.2022 auch unseren ersten Arbeitstag in einem Hotel in Österreich. Wir waren ganz aufgeregt. Ich hatte Frühschicht. 7.00 Uhr Arbeitsbeginn, kein Problem, wenn man dort wohnt, für Frühstück, Mittag- und Abendessen gesorgt ist.
Ich freu mich auf den Weihnachtstrubel, weil ich ja gerade erst aus einer Gastro mit vielen tollen Veranstaltungen und ordentlich ordentlicher Arbeit kam. Wenn es eine Gastronomie gibt, die ich im Allgäu ohne Vorbehalte empfehlen kann, dann ist es die Bieralp in Kranzegg. Die Wirte sind großartige Leute, das Bier ist einzigartig und das Essen toll. Die armen Leute haben mich leider in einer ganz doofen Lebenslage abbekommen. Die Arbeit dort hat mich immer ein bisschen ins Leben zurückgebracht, sowie Tierheim, Tierarztpraxis und der Dorfwirt früher, aber wenn das Außenrum und das Innendrin zu viel wird, ist auch der netteste Arbeitsplatz irgendwann nicht mehr gut zu bedienen.
Ich bin um 6.50 Uhr im Restaurant aber irgendwie ist niemand da. Naja, dann warte ich mal. Gegen fünf nach sieben schlurft ein Mann rein, der irgendwie nicht so motiviert aussieht. Er hat einen sehr vollen Vollbart. "Ah, du bist Jana?"
"Sieht so aus."
"Cool, ist heute ganz chillig, wir haben eh nur 23 Gäste oder so. Können uns Zeit lassen. Die stehen eh nicht früh auf, hab gestern Abend mit denen gequatscht. Rauchst du?"
"Ähm ja, aber ich hab jetzt keine Zigaretten mit zu meiner ersten Schicht genommen."
"Ach, du bist motiviert?" Er lacht ein bisschen. Ich mag seine lebenslustigen Augen, die wenig zu seinen Worten passen: "Bleib zwei oder drei Wochen, dann ist das auch verflogen."
"Wie lang bist du schon da?"
"Knapp ein Jahr."
"Zufrieden?"
"Man kann ein bisschen Geld machen, für das, was man tun muss, aber ich geb dir einen Tipp: Mach dein Ding, weil das, was die hier so vorhaben, funktioniert einfach nicht. Vor allem nicht für die Gäste. Du bist übrigens faktisch meine Supervisorin, also hallo Boss."
"Ja, hallo auch. Du bist Commis? Ich dachte eigentlich, dass mir die Restaurantleitung oder die Stellvertretung alles zeigt, damit ich dann gleich mit meiner Arbeit loslegen kann."
Er lacht. "Komm, ich geb dir ne Ziggi. Oder rauchst du auch E?"
"Ne, E nicht."
Wir gehen raus und ich schaue das erste Mal den Berg nach oben. Direkt vor der Terrasse ist der Skilift. Hier müsste es um diese Jahreszeit brechend voll sein. Aber gut, exklusiv, es ist ein kleines Haus, auch wenn's auf der Website riesig aussieht. Kann ja sein, dass die Handvoll Gäste einfach die Ultrabetreuung bekommt. Bei drei Mitarbeitern pro Gast ist das schließlich auch zu erwarten.
"Wo kommst du her?"
"Deutschland. Du?"
"Bosnien. Und was machst du dann hier?"
"Brauchten 'nen Tapetenwechsel."
"Bist du HoFa oder Restaurantfach?"
"Ne, Ernährungsberaterin, Einzelhandelskauffrau und Tierpflegerin."
"Hm, toll, dass du dann meinen Posten bekommen hast wo ich mir hier schon 'n Jahr den Arsch aufreiße. Aber ich nehm's dir nicht übel, du kannst ja nichts dafür."
"Das tut mir leid. Uns wurde gesagt, hier solle sich einiges ändern und wir würden perfekt ins neue Konzept passen. Ich bin Veganerin, mein Freund ist Vegetarier."
"Ah, ja dann viel Spaß hier." Er lacht wieder und bietet mir nochmal eine Zigarette an. "Ich mach dir jetzt erstmal einen Cappuccino. Ich hab Hafer-, Soja- oder Mandelmilch. Was magst du?"
"Mach's mir, wie du willst." (Sowas passiert mir leider öfter mal, hab ich von meiner Mama). Er lacht und sagt: "Okay." Wir rauchen zu Ende, er macht mir einen Cappuccino mit perfekter Schaumkrone und schönem Muster und zeigt mir dann, was für Frühstücksbuffet noch hergerichtet werden muss. "Na, da hat die Madame abends mal wieder geschlampt.", stellt er fest und zieht so schnell alle fehlenden Gegenstände hervor, dass ich mir unmöglich merken kann, wo das jetzt auf einmal alles herkommt. Nach fünf Minuten sagt er: "So. So soll das ausschauen, dafür hast du in der Regel eine halbe Stunde bis Stunde Zeit. Derweil kannst du schon Kaffee machen oder die Maschine freigeben, wie du Bock hast. Wir machen jetzt erstmal Filterkaffee und frühstücken dabei. Die Showküche ist schon besetzt, er lässt sich schnell was kochen, ich nehme mir was vom Buffet und freu mich, dass es Porridge gibt, den ich essen kann und Brötchen und Obst. Immerhin was zu Essen und es gibt ja auch Milchalternativen. Zum Mittagessen wird uns mindestens eine vegane Option versprochen und damit kann ich dann schon arbeiten. Ich hol mir künftig im Dorf einfach einen Sojaghurt Vorrat und gut ist. Dann kann ich auch wieder ein bisschen zunehmen. 2021 hat mich hart getroffen und seither hänge ich im unteren Gewichtsbereich und komm nicht mehr über 50kg. Das wird sich hoffentlich die nächsten Monate ändern. Auch deswegen sind wir hier. Arbeiten und nebenbei dran arbeiten, unsere Körper wieder fit zu kriegen und vor allem unsere Köpfe.
"Wie war's?", fragt Basti als ich ins Hotelzimmer zurückkomme. "Ganz cool eigentlich. Echt wenig los und dann hab ich angefangen zu putzen. Das ist schon nötig. Ich glaub, hier ist manchmal richtig viel los. Sieht auf jeden Fall so aus, als würde man nicht so oft dazu kommen, die Bar mal richtig sauberzumachen. Aber du weißt ja, ich mag auch diese ruhigen Tage, wo man bissl nach- und vorarbeiten kann. Gehen wir ins Spa?"
"Gern."
Wir verbringen meine Mittagspause im Spa und auf dem Hotelzimmer und dann geht Basti los zu seiner ersten Schicht. Ich bin so ein bisschen verloren, weil ich das erste Mal seit langem völlig frei von Verantwortung bin und das ein ganz komisches Gefühl ist. Ich bin frei und das ist irgendwie beängstigend. Und ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll, also gehe ich in die Fitnesskammer (die auf der Website aussieht wie ein kleines Fitnessstudio). Davor gab's Abendessen. Spaghetti mit Tomatensoße. War okay vom Geschmack und perfekt für mein Vorhaben.
Um halb acht schmeiße ich mich in Arbeitskleidung, die ich selbst mitgebracht habe, weil wir noch keine vom Hotel bekommen haben und schaue mir mal das innovative Konzept von "sharing is caring" an. Individuell. Und die Tabletts sind riesig. Gut, dass ich nicht fürs Tragen angestellt bin. Das würde meine Konstitution gerade deutlich übersteigen.
Um 23.59 Uhr endet unser erster Arbeitstag dann und wir sind irgendwie verwirrt. Von einfach allem. Und irgendwie ist uns noch nicht so ganz klar, wer überhaupt wo das sagen hat oder wer der Chef ist. Die Menschen, von denen der nette Schaffner gesprochen hat, haben wir auch noch nicht gefunden. Vielleicht hat er sich im Hotel geirrt...
"Ich freu mich, dass wir hier sind, Bebi.", sage ich. "Ich mich auch."
"Danke, dass du das mit mir machst."
"Ich würde alles für dich tun."
"Das weiß ich und andersrum genauso."
Die Entscheidung, das Allgäu verlassen zu haben, fühlt sich richtig an. Wir waren in der Sauna, ich sogar zwei mal. Wir waren zusammen im Rooftoppool, um uns herum die winterliche Bergluft und wir sind uns sicher, wenn wir hier nicht heilen und uns wieder aufbauen können, wo dann?
"Ihr habt euch schon aus dem Pool an Scheiße rausgezogen und seit jetzt nur noch bis zum Knöchel drin, vergesst nicht, den Dreck abzuwaschen, Leute.", hat uns einer der Allgäuer mit auf den Weg gegeben, der mich noch aus meiner Schulzeit kennt. Er und sein Kumpel haben uns die Zeit davor den Arsch gerettet, weil ich ohne ihn nicht mehr zur Arbeit gekommen wäre und wir kurzzeitig obdachlos gewesen wären. Hilfe annehmen ist manchmal schwierig, vor allem für Menschen wie uns und umso toller, wenn man sie bekommt. Für diese Zeit sind wir sehr dankbar. Beiden Jungs mit Anstand und Ehre.
Und an diesen Rat wollen wir uns gern halten.
21.12.2024
Die Hunde frühstücken (wir haben inzwischen rausgefunden, wie wir auch die große Schwester zum Fressen motivieren können) und wir springen unter die Dusche.
"Weißt du, was ich mich frage?", frage ich meinen Freund. "Hm?"
"Muss über die Sache mit der Sauberkeit, die individuell ist oder im Auge des Betrachters liegt nachdenken... Schau mal, wir sind beide körperlich echt lädiert, wir leben in einem riesigen Hunderudel, die viel Wald und Wiese mitbringen, ich muss mit einer Campingwaschmaschine waschen und unser Geschirr in der Dusche spülen, wir haben keine Küche und trotzdem ist es hier nicht so dreckig wie es bei der hässlichen Version von Clara war."
"Ja, keine Ahnung wie man das schafft. Die war halt allgemein unfähig. Weißt du, was ich mich viel eher frage?"
"Hm?"
Davor haben wir über Expartner gesprochen und warum ich so lange bei meinem Exmann war und er solange bei seiner Exverlobten. Passiert halt manchmal, man nimmt 'ne Sache nicht so ernst und dann dreht sich's irgendwie rein und plötzlich sind Jahre vergangen und du hast gar nicht gemerkt, was eigentlich passiert. Liegt wohl daran, dass wir beide gerne Stellvertreter gewählt haben in unserer Vergangenheit. Und haben wir nochmal festgestellt, dass das Mädchen mit dem wir unsere ganz, ganz, ganz furchtbare Polybeziehung gemacht haben, auch nur eine dumme Stellvertreterin war, für die, die wir wirklich in unserem Leben gewollt hätten. Ist halt so, wenn man noch in alten Mustern hängt. Dann macht man dumme Dinge.
"Was hat es sich erhofft? Selbst wenn dieser ganz unsinnige Plan, uns zu trennen und mich danach zu erobern in irgendeiner Welt hätte funktionieren können, was dachte sie denn, was dann passiert? Dass sie ein schönes Leben mit mir hat oder was?"
Ich lache ein wenig. "Ja, ich denke schon. Hat sie mir ja von Anfang an gesagt: Ich will das, was du hast. Und wenn wir ihrer armen Familie mal zugehört hätten, hätten wir deren Warnungen auch ernster genommen. Ihre Schwester hat mir das im Sommer auch nochmal durch die Blume gesagt, als wir noch einfacher hätten gehen können."
"Joa."
"Aber sie hat's ja gut eingeleitet, hat mich schnell eingesponnen mit ihrer Opferrolle und mich in den Schutzzwang ihr gegenüber gestellt. Ich hab ihr einfach zu viel erzählt, weil's mir ganz egal war, sorry. Da war ich wieder zu arrogant, das tut mir echt leid. Die hätte das alles nie so auslösen können, wenn wir ihr beide nicht die Punkte gegeben hätten, weil sie halt wirklich viel schlechter in allem ist, als die, die wir davor hatten und die waren schon... Brauch ich dir ja nicht sagen. Und das beweist sie vor uns und nach uns. Wir waren die Einzigen, die so dumm waren, uns von dem Quatsch beeinflussen zu lassen und das auch nur, weil wir in der Zeit beide in einer emotionalen Ausnahmesituation waren. Hat sie halt ihre einzige Chance genutzt."
"Auf was? Diese Logik ist im Allgemeinen dumm. Wenn jemand seine bestehende Beziehung aufgibt, um eine neue zu führen, sollte man mit diesem Menschen dann eine Beziehung führen wollen? Ich glaube nicht. Das machen die Leute immer wieder und immer wieder kommen sie zum Gleichen Ergebnis: Sie sind überrascht, wenn sie selbst verlassen werden. Aber was ich wirklich gar nicht verstehe. Warum das alles. Sie hätte es so einfach haben können, wenn sie dieses Spiel nicht angefangen hätte."
"Ja, wir können ja durchaus nett sein. Ich mein, gibt ja auch keinen Grund, scheiße zu jemandem zu sein, mit dem man schläft. Ist auch unlogisch. Und ich hab mir echt viel Mühe gegeben und ihr sooooooo unendlich viel durchgehen lassen."
"Ja, das weiß ich, Bebi. Deswegen ist es ja noch absurder."
"Einfach eine hässliche Zeit, aber auf der anderen Seite haben wir das wohl auch irgendwie gebraucht. Seither wissen wir wenigstens, dass wir uns immer irgendwie wieder auf die Kette kriegen, egal in welchem psychischen Ausnahmezustand wir gerade versetzt worden sind. Und außerdem ist es mindestens genauso dumm, jemandem eine Wohnung anzubieten, für die man selbst keine Miete zahlt, nur um dann auf Bedürftig zu tun und drei Monate unsere Dusche zu benutzen. Was dachte er denn? Dass ich eines Tages zu ihm mit drunter steige?"
Basti lacht. "Ja, ich glaub schon."
"Boah ne, ey. Der Ekelhafte. Aber gut, er hat sich einen Hund angeschafft, was natürlich auch eine ganz dumme Idee war."
"Deswegen war der Hund ja auch schnell wieder weg, nachdem er gemerkt hat, dass das auch nicht hilft."
"Ja aber komm, wie dumm kann man denn auch sein. Da ist Seekuh ja noch schlau dagegen."
"Die hat inzwischen ganz aufgegeben. Was auch immer die sich zusammengesponnen hat, seit ich nicht mehr dort arbeite und die Weiber sowieso ihre Masken nicht mehr aufrecht erhalten können und ich das deswegen auch nicht mehr tun muss, hat sie das glaube ich endlich verstanden."
"Der arme Daddy."
"Vielleicht ist sie deswegen so."
"Gib dem armen Mann nicht die Schuld."
"Tu ich nicht. Ich sag nur, ich hätte mir ein anderes Kind gewünscht, wenn ich er wäre. Und das wirkt sich aber halt trotzdem aufs Kind aus."
"Auch wieder wahr. Und irgendwie hat er das ja auch mit verzogen."
Halten wir fest: es gibt überall Menschen, die aus Minderwertigkeitsgefühl oder falsch verstandener Liebe oder Ego oder was auch immer, anderen das Leben schwer machen. Ist halt so.
Ich schreibe den Blogbeitrag von Freitag und dann ist es auch schon Zeit zu fragen, ob wir mit den Schwestern nochmal Gassi gehen, bevor sie geholt werden. "Ich will nur nicht, dass sie noch aufgeputschter sind, das bringt ihnen auch nichts. Aber dann kommen sie heute auf jeden Fall genug raus."
"Okay, machen wir so, wir gehen einfach eine ruhige Runde."
Ich hole die Geschirrchen und die große Schwester kommt angetapst. Ich zieh's ihr über den Kopf und die ersten Tränen laufen. Ich mache ihr Geschirrchen zu und wir kuscheln. Der kleine Frosch kuschelt mit. "Nicht weinen, Bebi. Sonst muss ich mitweinen."
"Versuch's", schluchze ich. Natürlich weine ich nicht jedes Mal, wenn Hunde heimgehen. Nur wenn's nötig ist. Leider wird ein Besuch der beiden in näherer Zeit von unserer Seite auch unrealistisch, was nicht an den Hunden, sondern an ihren Menschen und unserem Gesundheitszustand liegt. Das können wir gerade einfach nicht bewältigen und das ist ein Scheißgefühl.
16.08 Uhr
"Sie sind anscheinend da."
Wir laufen hoch und als die große Schwester ihre Menschen erkennt, springt sie an mir hoch, gibt mir einen Kuss und geht dann langsam dahin, wo sie hinsoll. Froschi wedelt mir nach und es tut mir wirklich schon körperlich weh, die Leine jetzt aus der Hand zu geben. Basti und ich tragen 'the c(/g)rave' nach, in das wir die große Schwester natürlich nicht eingesperrt haben, weil das nicht ihr sicherer Rückzugsort zu sein scheint, sondern ihr Gefängnis.
Ich fühl mich richtig beschissen, als wir zurück in die Wohnung gehen und niemand da ist. Es ist immer ein komisches Gefühl, wenn keine Hunde da sind, aber heute drückt es besonders.
"Scheiße halt. Gehen wir einkaufen?"
"Jup."
Wir gehen zu Rewe und spielen danach Cyberpunk. Inzwischen fahre ich schon besser, deswegen fahre ich Claire auch ohne Problem zu Sampson. Den erschießt sie dann, obwohl ich versuche, sie abzuhalten, aber steige danach trotzdem mit ihr ins Auto. Die NPC dreht durch und fährt überall dagegen. Nach einer viertel Stunde sind wir sicher, dass das so nicht zum Spiel gehört und setzen V auf den vorherigen Speicherpunkt zurück. Sampson stirbt trotzdem, aber diesmal steigen wir nicht mehr zu der emotional aufgewühlten Frau ins Auto, sondern fragen sie, was sie vorhat. Sie wird nie wieder rennen fahren und schenkt uns deswegen die Karre. Auch gut. Wär's doch im Leben nur so einfach.
Ich packe noch mein Adventskalendergeschenk aus und freu mich über Weihnachtssocken. Die Idee von meiner Mama ist so süß. Wir können uns ja nicht sehen, deswegen hat sie einen Adventskalender aus lauter kleinen Geschenken gemacht, dass wir jeden Tag ein bisschen Feiern können. Toll, oder?
"So traurig ich wegen der Hunde bin, so froh bin ich auch, dass wir jetzt dieses Leben führen und nicht mehr auf dem toten Berg festsitzen."
"Ja, das war eine Enttäuschung."
"Gelinde ausgedrückt."
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