Selbstständigensonntag
- FRAUENBARTH
- 9. Feb.
- 6 Min. Lesezeit
8.00 Uhr
Der Wecker klingelt. Ich geh mit Luca raus und treffe auf drei immer noch Feiernde. Zwei Jungs, ein Mädel. "Guten Morgen."
"Guten Morgen.", jubeln sie zurück und Luca jubelt mit, aber einer der Jungs hat offenbar riesigen Schiss vor ihm. Ja gut, er ist ja auch riesig und dunkel. Kann einem schon Sorgen machen, wenn so ein Koloss auf einen zu stampft. Letztendlich spielt Luca dann aber doch lieber mit dem Typ, der sich nicht so leicht einschüchtern lässt und wir unterhalten uns kurz. Ich rede ja gerne mal mit Betrunkenen. Seit ich selbst nicht mehr feiern gehe, ist das natürlich schwieriger, aber wenn man Sonntagmorgens in der Louisenstraße früh genug aufsteht, hat man garantiert die Möglichkeit.
Nicht, dass das der Grund für meine Sonntägliche Morgenrunde wäre... Aber ist mal wieder ganz unterhaltsam und der Hund hat Spaß, also was soll's. Sie sind ja auch nicht so betrunken, dass es gleich gefährlich wird, nur schon ganz lustig dabei. Solange sie jetzt nicht zu lange hier oben an der frischen Luft bleiben, geht das schon und sie scheinen ja auch auf dem Sprung zu sein. Hoffe ich... Nicht dass sie meinen Freund noch wecken. Der hat mal wieder super unruhig geschlafen die Nacht.
Luca und ich ziehen weiter, weil ihm jetzt auch der Grund wieder einfällt, weswegen wir Sonntag um kurz nach Acht hier auf der Straße stehen. Wir drehen eine kurze Runde und als wir zurückkommen, sind die drei immer noch da und immer noch friedlich und guter Stimmung. Jetzt wird's dann aber langsam kritisch mit der Zeit... Hoffe ja, ihr Taxi kommt bald, weil der Dame sieht man schon an, dass die Kontrolle langsam entgleitet. Die Jungs machen noch einen ganz munteren Eindruck, wenn auch nicht mehr so gut gelaunt wie noch vor einer viertel Stunde. Ich glaub, sie sind erst kurz vor mir aus der Bar raus, also noch so eine weitere viertel Stunde und dann sind wir langsam am Höhe- und/oder Endpunkt angelangt. Einfach so aus Evidenz raus. Außerdem haben sie sich ja gern ein bisschen mit mir unterhalten wollen, was meistens ein Zeichen dafür zu sein scheint, dass sie irgendeine Last mit sich rumtragen und bei Druffis und Suffis und auch einfach nur ab und zu Konsumenten, die gerade zu viel erwischt haben, bin offenbar die richtige Zielperson zum Ansprechen für alle Arten von Problematiken und Gefühlslagen. Und ich hab schon so viel gehört... Oft kurioses, ganz, ganz viel ganz Trauriges, unendlich unnötiges und niemals enden wollendes Rumheulen aus Selbstmitleid, vom Gehirn ersponnenes wegen Psychose, die sich auf die zuletzt gesehene Serie bezogen hat, Geschichten von Toten verwandten, Bilder der toten Verwandten und Bilder der verwandten Toten. Also so ein Mix an allem, was das Leben so hergibt, die Hirne sich so vorstellen können und ich bin irgendwie mittendrin und versuche das einzuordnen.
Luca tapst fröhlich zwischen ihnen hindurch und ich beeile mich, mit ihm vorbeizukommen, denn so witzig ich diese Unterhaltung grade vorher auch fand, ich möchte das jetzt nicht ausdehnen, nicht von den Problemen hören, die sie untereinander offenbar haben, was wohl an der Frau liegt, aber vielleicht anders, als man annehmen würde, aber ich bin mir nicht ganz sicher und will's auch nicht werden. Luca versteht mich zum Glück auch ohne den Kopf zu mir zu drehen und geht straight zur Haustür. "Danke! Du bist ein guter Junge!"
Gestern Abend hat er Luna noch ihr Kissen aus dem Körbchen ins Bett auf ihren Schlafplatz getragen. Das war so süß. Ich hab erst geschimpft, weil ich dachte, er will es klauen, aber er wollte es nur bereitlegen. Danach ist er losgezogen um mir eine Decke zu besorgen. Ich hatte zwar schon zwei, aber das finde ich doch wirklich fürsorglich von ihm.
Luna pennt eigentlich noch so halb, möchte jetzt aber doch auch raus und steht gaaaaaaanz gemächlich auf. "Na, Mausi, auch wach? Guten-Morgen-Runde?" Sie streckt sich und ich nehme ihr Geschirrchen und ihr Halsband vom Haken. "Okay, aber unten sind Leute. Können wir versuchen, das dort kurz zu halten?"
Wir gehen runter und sie sieht den Kerl, der keine Angst vor Hunden hat und steuert direkt auf ihn zu. Die Hunde merken ja auch, wenn es jemandem emotional nicht gut geht. "Na hallo, wer bist denn du?"
"Haha, wie viele Hunde hast du denn?", lacht das Mädel. Sie müsste etwa in meinem Alter sein. Vielleicht etwas jünger. "Sind nicht meine, die sind nur zu Besuch. Und das war's für heut auch schon."
Wie schon angedeutet, war ich auf vieles gefasst, aber auf diese Welle dann irgendwie so gar nicht, obwohl man sie schon seit Jahren kommen sieht. Luna kuschelt sich an den Typen ran, er ist recht groß, also ist er auf ein Knie runter, um sie streicheln zu können. "Wann kommt das Taxi?", fragt Mr. Hab's-nicht-mit-Hunden nervös, während ich mit ihr ein bisschen Rassekunde betreibe und ihr erkläre, dass ein Husky vielleicht ganz entfernt ähnlich aussehen kann, weil sie ja auch schon so ein weißes Gesichtchen hat und das der Schwanz auch nach oben geht, aber ein Appenzeller doch ein bisschen anders aussieht und sie kein Husky ist. "Achso." Notiz an mich: mal wieder zu viel Information im denkbar schlechtesten oder auch passendsten Moment - ich weiß ja nicht, wofür das gut war und ob das nachfolgend geholfen hat, das einfach mal bei einer Fremden loszuwerden.
Ich habe meine Luna natürlich immer im Blick behalten, um sie notfalls rechtzeitig sichern zu können, aber sie ist sehr klar in ihren Ansagen und wenn sie der Meinung ist, dass da grad Hilfe notwendig ist, dann hat sie da wohl auch recht. "Naja, aber die Hunde machen ja eh keinen Unterschied zwischen den Rassen.", stellt sie fest und bevor ich jetzt wieder TMI abgebe und sie noch mehr verwirre, sage ich: "Ja, das stimmt. Hunde sind einfach nett."
Sie strahlt bis über beide Ohren, der nervöse Typ findet mich glaub ganz schön beschissen und sein Kumpel streichelt immer noch Luna. Ich sehe Tränen in seinen Augen glitzern. "Wie auch immer.", sagt er. "Vor allem ist es ihnen egal, ob man Ausländer ist." Er erhebt sich, wischt sich die Augen trocken und ich bin irgendwie gefangen in diesem Moment. Die Aussage scheint mir so harmlos und normal, wie "und einem Tier ist es egal, wer du bist" und doch ist sie so viel Bedeutungsschwerer. Vielleicht ist es auch die Zeit, in der wir uns gerade befinden, aber ich glaube, in diesem Moment...
"Jetzt hast du's endlich mal gespürt, gell? Was passiert. Was das anrichtet. Ich weiß, dass es das in deiner Welt nicht gab.", erzählt Basti mir als ich ihm abends davon erzähle. "Aber ich war in meiner Welt zuvor zufriedener. Das macht es nur realer." Ich spüre so 'sorry, Baby'-Vibes, aber er sagt nichts dazu. "Naja, du weißt ja, dass ich da einfach so 'ne keine Ahnung, Nichtempfindung für habe. Also ich kann schon sehen, was grundsätzlich rassistisch und diskriminierend ist und verstehe auch, dass das verletzend ist, so wie ich halt Sucht verstehe, aber ich hab's halt selbst nie gespürt. Weißt wie ich meine?"
Randnotiz: Hängt vielleicht ein bisschen mit den längeren Dissoziationszuständen zusammen, die mich in der Vergangenheit daran gehindert haben, einen Bezug zu mir herzustellen. Wenn der Druck zu hoch wird, lässt du irgendwann los, aber wenn du nicht loslassen willst, weil du ja am Leben hängst und es liebt, dann findet das Gehirn so seine Wege, fordert dafür aber auch seinen Preis.
Man hat mir schon alles mögliche gesagt und alle möglichen dummen Dinge angetan, aber im Grunde nicht explizit wegen mir als Frau oder mir als bisexueller Person oder mir als weißer Person, sondern so eine Mischung. Vielleicht kann ich mir deswegen einfach nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man ständig aufgrund von Tatsachen belabert, beleidigt, bedroht oder schlimmeres wird. Ich kann halt rational entscheiden, dass ich vom Grunde her niemanden hassen will, sondern sich die jeweiligen Individuen meinen Hass erst verdienen müssen - da ist es mir doch egal, wo sie herkommen, was sie glauben und was sie essen (außer sie sind meine Klienten, dann habe ich da irgendwie doch was zu sagen). Andersrum genauso: bist du anständig zu mir, bin ich anständig zu dir.
"Ne. Aber das ist schön für dich." Er meint das ehrlich. "Ja, Bebi, ich weiß..." Er ist Deutscher, wovon man auch ausgehen könnte bei seinem Namen, aber aus irgendeinem Grund wird er gerne Richtung Ostblock eingeordnet und das führt tatsächlich zu Umständen, die man sich so als Einzelkind wie ich - im Mittelstand aufgewachsen, mit Rösschen und einem Zimmer voller Spielzeug, einer Mama die jeden Tag selbst kocht, ... - überhaupt noch nie hat sehen können. Und ich weiß, dass er mehr als einen wichtigen Menschen verloren hat wegen dieser ganzen Ausländer-Geschichte.
"Die Angst wird schlimmer, oder?", fragt er nach einer Weile. "Ja. Fast greifbar."
"Das ist schlecht."
"Ja."
Dafür gab's auch schöne Momente. Zum Beispiel beim gemeinsamen Gassigehen, bei der Sortimentserstellung für den Onlineshop und bei den lieben Nachrichten meiner Hundemenschen, die mir schon mal im Voraus mit Bewertungstexten für die Startseite unter die Arme greifen. Bei einer hab ich sogar Tränen in den Augen, weil sie so schön ist, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll. Ich bin einfach froh, dass ich wieder angefangen habe zu arbeiten und ich hoffe, dass sich der Zustand auf der Welt irgendwie wieder beruhigen kann, damit ich's auch genießen kann, wenn's jetzt endlich mal anfängt zu laufen. Mit meinem Freund hatte ich heute auch ein längeres Gespräch und wir werden ihn jetzt wieder auf die Beine kriegen. So wie die letzten Monate kann's nicht weitergehen und ich bin froh, dass er endlich anfängt, mit mir zu reden. Damit tun wir uns nämlich beide schwer, obwohl wir den ganzen Tag nichts anderes machen als miteinander zu Quasseln.
Unser Tag endet gegen drei und ich bin happy, dass im Onlineshop schon ein paar wirklich schöne Dinge zu erstehen sind.
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