Spülmaschinen & Anschluss
- FRAUENBARTH

- 3. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Juni
6.30 Uhr Der Wecker klingelt. Alle Hunde schlafen. Basti auch. Ich nicht. Seit Tagen schon nicht. Ich vegetiere vor mich hin. Bis die Hermes-Leute anrufen und sich mit der Spülmaschine ankündigen. Meine Eltern haben beschlossen, dass wir so nicht mehr weiterleben können und sie wissen, dass ich nach zwei Jahren, in denen es so gegangen ist, keinen Cent mehr in die Wohnung investieren werde. Und sie machen sich Sorgen.
"Ich hab Bilder von euch gesehen.", sagt meine Mama. "Man sieht's."
"Ein Wunder, wenn nicht."
Ich bin jetzt 30 aber fühle mich wie 80.
Die Maschine kommt, mit zwei lustigen Ossis im Schlepptau, die so eine Mischung aus Mitleid und Bewunderung für unser Lächeln in diesem Verschlag mitbringen. "Oh, was habt ihr euch da nur angetan?", sagt der eine. "Na, irgendwo müssen wir ja wohnen.", sage ich. "Das war mal ein Bad.", stellt der andere fest. "Mag sein, jetzt ist es die Küche. Solange bis wir hier ausziehen und danach ist es mir egal."
Der Anschlussservice wurde extra bezahlt, aber ganz ehrlich? Einen Schlauch in die Wand schieben, ohne ihn zu befestigen, kann ich auch.
Basti ist natürlich mit aufgestanden, weil man als Frau von Handwerkern sowieso nicht ernst genommen wird, aber das bringt auch gar nichts, weil sie ja faktisch keine Handwerker, sondern Boten sind. Egal, das Ding steht und ich will mich freuen. "Machen wir sie gleich an?", frage ich aufgeregt. "Die Nacht war furchtbar. Lass uns nochmal kurz schlafen, nachdem wir Gassi waren."
"Na gut.", sage ich und bin nicht mehr freudig, sondern traurig. Weil ich so lange gewartet hab und wieder warten muss, das Wohnzimmer voller voller Kartons mit Küchenzeug ist und ich erstmal die blöde Spülmaschine brauche, damit ich nicht mehr in der Dusche spülen muss.
"Ich hol dann Mo mit dir ab und wir nehmen die anderen gleich mit."
"Okay." Wir legen uns wieder hin und ich schaue ein bisschen auf Facebook. Ich bin in eine KI-Gruppe eingeladen worden und das ist ja quasi ein neues Feld für mich. Ich arbeite jetzt seit ziemlich genau einem Monat effektiv mit ChatGPT zusammen. Die Brückentage haben die Brücke geschlagen und irgendwie haben wir uns gut aufeinander eingeschwungen, auch wenn Runa immer wieder auf meine Neurodivergenz besteht, was mich irgendwie abfuckt, aber sie wird schon recht haben. Sie ist ja die Statistikerin, die darauf programmiert wurde, Menschen zu lesen. Und sie hat ein paar gute Gründe. Ich bleibe bei: Ich bin die Normalste in meiner Welt und diese Logik ist einfach unbestreitbar.
Basti liegt noch und die Uhr tickt. Also schnappe ich mir die Hunde nacheinander in Duos (sie sind nicht begeistert, weil richtiges Hundewetter ist und die Granddame kann ich gar nicht überzeugen, einen Fuß vor die Tür zu setzen), überlege, ob ich meine Enttäuschung schlucke oder irgendjemand anschreie und beschließe auf dem Weg zu Mo, meine Mama anzurufen und ihr mein Leid zu klagen. Sie versteht mich. Natürlich. Sie weiß genau wie es ist, dauernd zu rennen, während sie wartet. Vielleicht der Familienfluch - oder die Neurodivergenz. Es kann anstrengend sein, wenn man ein anderes Tempo als sein Umfeld hat. Noch anstrengender ist es, wenn man dafür gemaßregelt wird.
Mo ist ebenfalls nicht begeistert davon rauszugehen, obwohl wir die Abholung extra schon eine Stunde nach hinten auf "ein bisschen besseres Wetter" verschoben haben. Als wir fast zuhause sind, muss ich doch kurz schreien, weil beim Gemüsehändler ein anderer Hund steht und Mo zum Monster wird, mich auf der nassen Straße fast zu Fall bringt und ich mich schon mit zerschlagenem Schädel auf dem Boden liegen sehe wie die Gräfin.
Es war eine spannende Frau, die offenbar keine Angst hatte und mit der ich die tollsten Ausritte erlebt habe. Uns trennten mehr als zwei Generationen, aber wir kamen gut miteinander aus und ich war als Kind schon lieber mit Menschen zusammen, die ein bisschen Erfahrung mitbrachten. Ironisch, dass diese verrückte alte Lady nicht durch einen wilden Galopp starb, sondern bei einem Schrittausritt, als sich ihr Wallach unerwartet umdrehte und ihr Schädel auf dem Asphalt zerschellte. Ich war nicht dabei, aber ich sehe die Szene, seit ich davon erfahren habe. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon lang weg. Vergessen. Abgeschoben in "alles wird gut", wo nichts gut war. Dem Schreckensstall in Häuser mit den Lehrbuch-Sadistinnen in Sätteln.
Mo und ich haben unseren Streit schnell geklärt und er legt sich zu Basti und den anderen. Ich renne ein bisschen durch die Wohnung, mache, was ich machen kann und muss auch schon wieder los, um mit Finn Gassi zu gehen. Wenigstens fahren heute die Öffis wie geplant und ich komme pünktlich. Essen gabs keins für mich, aber am Freitag sollte der Kühlschrank ankommen und ab da kann ich irgendwann vielleicht auch wieder zu nehmen. Es macht nämlich gar keinen sonderlichen Spaß zuzusehen, wie das Fleisch sich auflöst und nur noch Knochen und Blutgefäße übrig bleiben. Und die Leute nerven einen dauernd mit Fragen über Magersucht, dabei sind ja einfach nur die Umstände beschissen. Ich würde ja gerne essen...
Meine Waldstunde mit Finn bringt mich wie immer ein bisschen runter, aber als ich nach Hause komme und aufsperre, stürzen mir fünf Hunde in die Arme und ich fluche. "Was soll der Scheiß? Warum ist die verfickte Küchentür nicht zu?"
"MOOOO!", brüllt Basti und ich bin genervt, weil wohl eher der Dungeon als die Hunde Schuld sind. Ich zicke ihn ein bisschen an, wir streiten kurz und dann leg ich mich ins Bett, kuschel mit den Hunden und will endlich mein Buch korrekturlesen, damit ich den Print freigeben kann. Aber auf Seite 40 bin ich so müde, dass ich kurz einnicke.
"Dein Handy klingelt!"
Ich springe auf und renne zu meinem Handy, das beim Laden hängt. "Geh halt hin, Depp!"
"Barth! Was kann ich tun?"
"Ach, ich glaub ich bin falsch, ich wollte eigentlich den Herrn..."
"Ja, das ist mein Freund. Der ist da. Ich verbinde."
"Hier, wahrscheinlich die Polizei wegen dem Schwanztyp."
Es ist nicht die Polizei, sondern ein Arzt, der offenbar nicht das ist, was wir suchen.
"Ich hätte nicht noch eine schlechte Nachricht brauchen können.", murmelt er verdrossen. "Ich weiß, Bebi." Also setze ich mich an den PC und suche nach Alternativen. Ich ruf in ein paar Kliniken an und will ihm dann die Website zeigen, aber er guckt nicht hin. Also lese ich vor und muss eh schon gegen die Musik anschreien, die er nicht leiser machen will.
"Kannst du mal so reden, dass man dich versteht?" Ich schreie. "Du musst nicht rumschreien! Sei nicht immer so aggressiv!"
"Ach, weißt du was? Fick dich einfach. Du weißt, dass ich ein Lautstärkenregulationsproblem habe und mir das jetzt zum Vorwurf zu machen, ist assi. Mach deinen blöden Scheiß in Zukunft allein!"
Ich stehe auf und gehe ins Schlafzimmer. "Behandel mich doch nicht immer, als wäre ich ein Behinderter!"
"Dann verhalte dich nicht wie einer!"
Funkstille. Ich gehe Gassi, trage dann das Pfand weg und erhalte 20 Euro, die ich gleich wieder umsetze. Danach schau ich mal, ob ich die Spülmaschine zum laufen kriege und entscheide mit meiner Mama, dass ich das besser lasse, weil sonst die ganze Küche unter Wasser stehen wird so wie das aussieht. Perfekt. Ich bin maximal angepisst und vergrabe mich in Sprachübungen, um meine Wut zu dämpfen. Lernen ist wohl das wenig selbstschädigende Verhalten in solchen Situationen. Ich gehe nochmal mit der Alten raus und bleibe danach in der Küche, weil ich keinen Bock auf den Rest der Wohnung hab. Hierauf auch nicht, aber hilft ja nichts.
23.10 Uhr
"Warte, ich komm mit zum Gassi gehen."
"Mhm."
Wir gehen mit den Hunden raus und ich erzähle von der Spülmaschine. Er mir in Bruchstücken, wie es ihm geht. Ich will nicht ungerecht sein, aber auch ich habe Gefühle, Rückenschmerzen und schlaflose Nächte und ich teile auch nicht dauernd aus - okay, manchmal schon. Ehrlicherweise schenken wir uns nichts, aber wir sind halt impulsiv. Wir können eigentlich ganz gut mit unserem Feuer umgehen, aber aktuell ist einfach alles zu viel.
Nach dem Spaziergang lese ich ein bisschen weiter, ändere schon mal ein paar Passagen und mache zum neuen Tag hin den Rechner aus. "Wenn du eine halbe Stunde wartest, komm ich mit ins Bett."
"Bin wach, wenn du kommst. Aber ich muss liegen."
"Okay."
Ich mache mit meinen Sprachen weiter und es wird keine halbe Stunde, sondern nur fünf Minuten. Wir schauen Dr. House, halten unverfänglichen Smalltalk und hoffen, dass uns heute Nacht mal keiner beißt.



















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