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- FRAUENBARTH

- 5. Nov. 2024
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Nov. 2024
9.00 Uhr
Der Wecker klingelt. Gestern Abend ist es ein bisschen länger geworden mit unserem Gildenaufbau, den Dicordeinstellungen und dann hat uns doch irgendwie die Lust gepackt und wir haben uns noch schnell neue Chars erstellt. Basti hatte eine wunderbare Idee mit Vulpera, das sind kleine Füchsen und wir haben vor, da ein süßes kleines Projekt draus zu machen. Was für Menschen, die halt auch gerade irgendwie gestrandet sind so wie wir. Wenn man sonst nichts machen kann, hat man in World of Warcraft wenigstens die Möglichkeit in Kontakt zu kommen, Abenteuer zu erleben oder einfach mal ein bisschen zu quatschen. Ist doch nett. Nachdem wir auch nicht sicher wussten, wann Gucci anreisen würde und wir das Monster erst um kurz vor zehn holen müssen, bleiben wir noch zehn Minuten liegen.
Der Start in den Tag ist mäßig, aber okay. Wir holen den Hund ab, heute kommt er mal einen halben Tag zu Besuch, sonst sind wir eher so Gassifreunde. Ich hatte schon wieder einen totalen Knopf in meiner Planung und deswegen hab ich den Mädels gestern schon abgesagt, dass ich heute nicht mit sechs oder sieben Hunden da stehe. Basti telefoniert unterwegs mit einer Sachbearbeiterin und versucht zu klären, was er seit mehreren Monaten zu klären versucht, aber auch hier sind immer wieder Widerstände. Zermürbend, aber wir lassen uns unsere Laune nicht verderben. Reicht ja schon, dass wir Schmerzen haben, über die wir lieber erst gar nicht reden, weil sie sonst real sind und wir den Weg bis zum Kurhaus sonst nicht geschafft hätten. Basti beendet das Gespräch, als wir angekommen sind und ich checke sicherheitshalber nochmal meine Nachrichten bezüglich anderer Hunde.
Bisher ist aber alles ruhig und wir drehen eine Runde durch den Park. "Ach, dann wird das ja heute alles ganz entspannt. Hätten die Mädels ja doch kommen können! So ein Mist!"
"Ja, aber auf der anderen Seite bin ich froh, dass er heute mal einen Tag allein hat." Als wir nach Hause kommen, will immer noch niemand was von uns und ich bereite und Frühstück zu. Basti hat wieder angefangen scharf zu essen, das treibt seinen Hunger ein bisschen an. Deswegen mache ich ihm belegte Brötchen mit Ei und verteile großzügig Chillisoße drauf. Als ich's ihm bringe, liegt er mit dem Gesicht voran auf dem Bett und ich stelle es neben ihn. Er wird dann essen, wenn er bereit ist. Und ich bin hundemüde und muss mich auch nochmal hinlegen, bevor ich umfalle.
Ich schlummere wieder ein. Kurz darauf fahre ich hoch. Neben mir ist Geschrei, der Hund springt auf, ich ebenfalls. "Was ist denn jetzt schon wieder los?"
"Warum hat der Semmel keinen Deckel?"
Ich war der Meinung, es würde sich besser essen lassen, wenn ich nur halbe Brötchen mache und sie nicht zusammenklappe. Geb' mir ja Mühe, alles möglichst einfach zu gestalten. Hätte wohl eine Info dazu gehört. Nun springe ich umher und suche nach einem Handtuch für Augen oder Nase oder was auch immer. Keine Ahnung was passiert ist. Ich werfe ihm das erste Handtuch auf den Kopf, dass ich finde und ernte ein: "Fuck, kein Handtuch! Tempo!"
Wo zum Teufel soll ich denn jetzt ein Tempo herzaubern? Aus meinem *rsch, *lter? [Hierzu eine kleine Anmerkung: Mein Schlaf-Ich ist nicht so nett wie mein Wach-Ich und in dem Moment war noch das Schlafhirn aktiv] Glücklicherweise kann ich den Wortschwall stoppen, bevor ich die Situation noch schlimmer mache und springe in die Küche, um Küchenrolle zu holen. Nicht, dass wir keine Tempos hätten. Wir haben sogar einen extra Platz dafür. Ich kann mich nur nicht mehr genau erinnern, wo der ist. So ist das halt, wenn man theoretisch seit eineinhalb Jahren in einer Wohnung lebt und effektiv vielleicht 'nen halben Tag Zeit und Kopf hatte, sie einzurichten. Die Farbe steht brav im Wohnzimmer und wartet, dass sie mal an die Wände kommt, die leichten Regale wechseln immer wieder ihren Platz und damit ist ihr Inhalt auch in Eilsituationen unmöglich auszufinden.
Das Zewa tut wohl auch seinen Dienst und ich entferne das Handtuch. Der Hund hat sich beruhigt und liegt wieder treu an seiner Seite. Ich habe die Deckel für die Brötchen dabei und jetzt kann alles gut werden. Ich muss unbedingt nochmal ein bisschen schlafen.
13.00 Uhr
Das Monsterchen steht auf und macht sich bemerkbar. "Gassizeit?"
Normalerweise geht er so gegen zwölf, nachdem wir ja gerade erst zurückgekommen sind, hatte ich eigentlich erwartet, dass er ein bisschen länger schläft. Ich stehe auf, werfe mir den dicken Parker über und gehe mit ihm eine kleine Mittagsrunde. Er hat sich gut gemacht. Vor ein paar Wochen hätte ich mit meinem Rücken noch nicht mit ihm an der Hand rausgehen können. Er ist nicht sonderlich groß, aber sehr stark und er hat ein bisschen einen schwierigen Kopf. Aber auch das Glück, eine großartige Familie zu haben und deswegen ist er mit seinen zwei Jahren jetzt auch trotz aller schwierigen Erfahrungen in der Jugend ein wunderbarer Begleiter für mich als verletzte Person. Er gibt acht, dass er sich nicht zu sehr in die Leine legt und führt mich lieber an Situationen vorbei, die ihm unheimlich erscheinen, bevor wir kämpfen müssten. Irgendwie echt süß.
Wir kommen wieder nach Hause und können auch fast schon gleich wieder los, weil die Mami auch schon auf der Heimreise ist. Erstmal knuddelt er sich aber noch ins Bett (nachdem mein Freund mit ihm gegen den grusligen Kuschelpanda gekämpft hat, den wir bei IKEA adoptiert haben, den er eigentlich auch kennt, der aber heute besonders bedrohlich aussieht) und ich mache mit Basti schnell einen Zeitwanderungsdungeon, um unsere neuen Chars hochzuleveln. Zu Todesritterin kommt bei ihm jetzt auch noch ein Diszi-Priester. Bei mir wird's ein Arkanmage. Der Zweite, aber die erste wird die Skillung wechseln. Wahrscheinlich zu Feuer, aber da bin ich noch nicht sicher.
Nebenbei besprechen wir ein bisschen was zur Gilde und zum Projekt und überlegen, welche Hunde denn jetzt eigentlich kommen oder auch nicht. Ich bringe das Monsterchen nach Hause und bin wenig später zurück. Wir machen am selben Punkt weiter, wo wir aufgehört haben.
"Dachte eigentlich schon, dass sie gesagt hätte, Dienstag.", werfe ich in den Raum. Es geht um Gucci. Sie hätte heute eigentlich da sein sollen. Das Problem bei ihr und meiner Planung ist, dass sie zum Inventar gehört. Ich sag immer: ja klar, sie kann kommen. Jederzeit. Und dann merk ich's mir nicht so genau. Ist theoretisch nicht so schlimm, weil sie ja zum Inventar und zu uns gehört und alle kennt, aber mein Leben wäre entspannter, wenn ich auch sie mit auf meine neue Pinnwand schreiben würde. Also mache ich das jetzt mal. Mit Fragezeichen für heute.
Kurz nach sechs schmeißt's uns aus WoW. "Bebi, schau mal bitte."
Ich schaue. "Ja, Anruf per What's App." Wir sind ja froh, dass der Hotspot meines Handy meist stabil genug ist, dass wir beide zocken können und wenigstens das nötigste, wie Blogbeiträge schreiben oder mal 'nen Insta-Post machen. Nen Internetanschluss kriegen wir dann irgendwann mal, falls irgendwann mal die verbrannten Leitungen ausgetauscht werden. Vielleicht funktioniert dann auch unsere Klingel. Zwei Möglichkeiten, um ddieses Problem zu vermeiden. But that's life.
"Hey, seid ihr zuhause?"
"Jup."
"Okay, dann kommen wir jetzt vorbei."
"Alles klar!"
Ich lege auf. "Gucci kommt."
"Gut. Also doch richtig."
"Jup."
"Wie lange."
"Keine Ahnung. Im Kalender stand sie erst ab dem 9."
Es ist übrigens wirklich, wirklich nicht die Schuld der Familie von Gucci. Die sind sehr strukturiert und pflichtbewusst. Besonders toll, dass ich's gerade da immer nicht hinkriege. Na ja, sind wir ehrlich, manchmal verwechsle ich ja auch Nudeln mit Reis. Man muss mit seinen Gegebenheiten umgehen und wie ich gestern schon mal festgestellt hab, stört das die Hunde herzlich überhaupt gar nicht. Die sind ja selber nicht immer ganz knusprig.
Wir wollen unseren Dungeon weitermachen und die Gruppe ist sogar noch offen. Aber Bastis ganzes Interface hat sich verstellt und er kann niemanden mehr heilen. Die Stimmung kippt. Gucci kommt an. Wir verlassen die Instanzgruppe. Ich entschuldige mich vorher nochmal schnell. Technische Probleme. Ärgerlich. Theoretisch vermeidbar. Aber das liegt nicht in unserer Hand. Wie so vieles.
Gucci verzieht sich ins Schlafzimmer, weil sie keine schlechte Laune mag und Basti geht los, um sich bei ihr zu entschuldigen. Nach einem Leckerlie und ein paar Streicheleinheiten ist alles wieder gut und sie kommt mit rüber auf ihren Platz an seinem Schreibtisch.
"Schreibst du mal noch das Recruiting-Makro für die Gilde? 255 Zeichen. Kannst ja schreiben und dann von ChatGPT kürzen lassen."
"Bebi, wenn ich das mache, brauche ich zwanzig mal so lang als wenn ich es gleich selbst schreibe."
"Achso, ja. Stimmt."
"Ja, weil ich muss der erstmal sagen was ich will, dann ...
...
...
und dann muss ich den ganzen Sche*ß nochmal korrigieren." In der Zeit, in der ich das erklärt habe, hätte ich das auch schnell machen können oder einfach den Text schreiben. Das tu ich dann schließlich auch. Aber halt erst nach unnötiger Verzögerung. Ich habe gar nichts gegen ChatGPT und es gibt Bereiche meiner Arbeit, wo ich sie gerne nutze. Ich finde aber halt auch, dass man eine Zusammenarbeit mit ihr kennzeichnen sollte und wenn man sich mal ein bisschen mit ihr beschäftigt hat, wird schnell klar, dass du mit ihr nicht unbedingt abkürzen kannst.
"Es spielt keine Rolle, wer du bist. Klasse zählt.", schließe ich den Recruitingtext. "Magst du's so?"
"Jaaaaaaaaaa..."Ich weiß, was er denkt, weil ich dasselbe dachte, aber ich wollt's trotzdem machen. "Ich find's gut. Poste es mal in Discord. Dann fragen wir die anderen."
"Hm, also das mit der Klasse..."
"Ja, ja! Ja, okay! Ich schreib's um."
"Ach Bebi..." Ich weiß, dass er mich versteht und das hilft mir.
"Bereit mit uns auf Abenteuer zu gehen?"
"Ja."
Also gut. Dann so. Und das ist ja auch das, worum es geht. Spaß haben und Gemeinschaft. Zwänge ein bisschen zurückstellen und das Kratzen in der Magengegend, das dadurch entsteht, einfach mit einer Tasse Kakao beruhigen.
Ich schreibe das Makro und frage dann, ob ich meine Twinks auch schonmal einsetzen soll. "Ja, dafür haben wir ja die Twinkränge."
Ich muss beim Wort "Twink" immer kichern. Wie ein dummes Schulmädchen. Seine kleinen Eigenarten braucht man ja auch.
"Jup. Hab ich ja ein paar. Twinks... hihi."
Ich lade meine Jägerin ein, doch irgendwie klappt das nicht, also lasse ich sie unsere Gilde suchen. Und ich finde sie. Und eine weitere mit theoretisch selbem Namen und zwei Mitgliedern, die es bevor wir mit dem Thema begonnen haben, sicher noch nicht gab... Es scheint auch eine Website dazu zu geben. Mal sehen. Nachdem ich ja mit dem ganzen Providerzeug eh schon drin bin, hab ich natürlich die möglichen Namen schon prüfen lassen. Unser Vorhaben hätte egal in welcher Schreibweise, auf .de, .com, .org, .schlagmichtot veröffentlicht werden können, weil es kein gleichnamiges gab.
Nun gebe ich den angegebenen Link in meinen Browser ein und finde eine Website, die so heißt, wie das, was wir planen und einmal die komplette Idee umreißt. Super. Ich weiß nicht so genau, was ich fühlen soll. Seit vier Jahren schwebt uns das im Kopf. Wir hatten nie die Zeit oder die Möglichkeit, das durchzuziehen. Wir haben jetzt das erste Mal den Rahmen, uns aktiv für das zu entscheiden, was wir machen wollen. Mein Freund kann sich zum ersten Mal seiner kreativen Seite widmen und hat großartige Ideen und dann passiert sowas.
Ich bin leer. Er ist mit ein paar Leuten aus unserer neuen kleinen Gilde in einem hohen Mythic Dungeon und ich starre auf die Website, die genau das beschreibt, was wir bisher nur wenigen erzählt haben. Und was vor drei Wochen definitiv noch nicht da war. Weder in WoW, noch im Internet.
Wäre ja auch dumm, sich die ganze Arbeit zu machen für was, was es genau unter dem gleichen Namen schon gibt. Natürlich ist es ein Herzensprojekt, das ohnehin von den Personen lebt, die in der Gemeinschaft sind, aber kann einer verstehen, dass ich mir jetzt ein bisschen verarscht vom Leben vorkomme?
21.49 Uhr
Basti und die Gilde sind inzwischen informiert. Für die scheint das alles kein sonderliches Drama zu sein. Dann will ich mal auch keins machen und bringe meine Jägerin auf Level 80.



















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