Tränen, Rotz und ... Wasser
- FRAUENBARTH

- 9. Juli
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Okt.
Es gibt Tage, da kullern Tränen.
Kurz vor sechs. Ein Quieksen weckt mich. Ich schnelle hoch. "Alles in Ordnung, Cupcake?" Er fiept und ich stehe auf, schlüpfe in meinen Krümelmonster-Jumpsuit und gehe mit ihm runter, damit er Pipi kann. Aber offenbar hat er nur schlecht geträumt und will jetzt lieber weiterschlafen. Das würd ich auch gern noch kurz tun, vor allem weil um neun ja mein Lehrgang weitergeht und ich gern pünktlich sein würde.
Um halb acht klingelt der Wecker, wir stehen alle auf und treten im Wohnzimmer in eine riesige Pfütze. Passiert. Dummerweise haben wir ja am Wochenende eine weitere Rudelmatratze ausgelegt, weil Luca keinen Labradorkumpel wollte - oder andersrum. Die Matratze ist hinüber, unsere Laune auch und wir bekommen uns in die Haare. Ich bin mega sauer über die Beschwerde über meine Hundeplanung, die weit über die Planung hinausgehende Belegung aus "Könnt ihr bitte kurz..." und "Du verdächtigst diesen Hund nur, weil..." was einfach nicht war, sondern meine fachliche Meinung ist und sie ist nunmal die Einzige mit Blasenproblemen, außerdem war Cupcake nicht einmal unsauber, seit er da war. Wir drehen uns mal wieder in einer emotionalen Schleife, während wir die vollgepinkelte Matratze zerschneiden, damit wir sie entsorgen können und ich beende das Gespräch irgendwann mit: "Ja, ist mir jetzt auch alles egal, die Hunde müssen raus." und dann gehe ich Gassi. Aber erstmal bringe ich die Matratze weg. Ich würde gerne schreien, mindestens zehn Stunden lang, aber das geht nicht, deswegen weine ich. Ich will gerade wieder zur Haustür rein, da kommt die Nette ausm Massagestudio rüber und nimmt mich in den Arm. Ich sage noch: "Achtung, ich bin voller Hunde-Pipi" - und voller Tränen und Rotz, aber es scheint ihr egal zu sein und sie hält mich einfach kurz. "Komm rüber, wenn du was brauchst.", flüstert sie mir zu und dann ist sie auch schon wieder weg.
Ich telefoniere noch schnell mit der Klinik, in der Basti jetzt dann seine Therapie machen soll, damit er danach wieder bei mir im Betrieb ins Arbeitsleben starten kann - hab schon die ersten Entwürfe für die RV gemacht, damit wir dann zeitnah die LTA beantragen können. Grundsätzlich scheint hier mal alles umsetzbar zu sein, also schreibe ich noch eine Mail an unsere Hausarztpraxis. Meinen Borreliose-Antikörper-Titer konnte ich noch nicht bestimmen lassen, weil mein Termin gestern gewesen wäre, aber da ja auch der Lehrgang zum AdA-Schein angefangen hat. Nachdem ich aber keinerlei Symptome seit dem Zeckenbiss habe, eilt das auch nicht und ist "nur" so ein Sicherheits-Luxusding. Nur die FSME-Impfung wäre eigentlich schon lang überfällig. Aber das wollte ich nicht mit Tetanus zusammenlegen und die ist einfach grundlegend und war diesen Sommer wieder dran.
Um kurz vor neun ist zwar der PC an und der Zoom-Call läuft, aber der Hütehund war noch nicht draußen. "Ich mach das, mach du deinen Kurs.", sagt Basti. Ich antworte, dass ich hier nicht länger bleibe und wenigstens mal kurz Luft brauche und gehe Gassi. Ich weine die ganze Runde vor Wut und es ist mir auch egal, dass sich die Mitarbeiter aus den umliegenden Geschäften als ich zurückkomme sich offenbar gerade über meine "Situation" unterhalten und sich auflösen, als sie mich durchs Tor laufen sehen. Ironisch irgendwie. Es gab Zeiten in meinem Leben, da hatte ich Partner, vor denen ich wirklich Schutz gebraucht hätte... aber das haben alle übersehen. Basti und ich sind vielleicht laut, impulsiv und bringen beide unsere Päckchen mit, aber wir sind eine Einheit, die miteinander wächst und da gehört Reibung dazu. Das Einzige, womit der Geier vom toten Berg recht hatte: "Eine gute Beziehung braucht Streit."
Ich heule weiter, nicke ihnen zu, gehe hoch, spring schnell unter die Dusche und setze mich an den PC. Viel verpasst habe ich noch nicht und die Kamera werd ich heut sicher nicht anmachen. Geht eh nicht gut mit der Technik und ich müsste die Sitzung doppelt laufen lassen, aufm PC und dem Handy und dann kann ich keine Anrufe mehr entgegennehmen.
Wir gehen im Kurs einige Grundlagen zur Ausbildung durch und ich vergleiche das mal in meinem Kopf mit der Erinnerung an der neunten Klasse am Gymi. Und der 10. in der Berufsschule. Und beschließe dann, dass das absolut machbar ist, ich aber unbedingt nochmal die richtigen Bezeichnungen für die schriftliche Prüfung durchgehen muss und mehr mit Mathe arbeiten sollte, damit ich besser durch die Multiple-Choice-Aufgaben komme. Klingt komisch, ist aber so ein Hirn-System-Ding und manche Fächer wie "Mathe" machen ja in der Schule auch durchaus Sinn, nur leider vergisst man wohl den Lehrkräften oftmals beizubringen, dass der über "Ich würdige Kinder herab" hinausgeht.
Egy ist angekündigt und ich gehe schnell runter, um sie entgegenzunehmen. Sie ist der Sonnenschein, der schon hüpft, wenn sie um die Ecke biegt und wie ein kleiner Kugelblitz in meine Arme schießt als sie mich sieht. "Übernachtungsparty, Egy! Ich freu mich auch! Bist Henne im Korb." Sie ist supersüß und freut sich immer soooooo dolle, dass sie uns besuchen darf, dass mein Ärger verfliegt. Wir gehen hoch und ich bin ein bisschen versöhnlicher gestimmt, wenn auch immer noch angepisst.
Im Kurs geht es darum, ein Thema für die praktische Prüfung zu wählen, ich hab schon etwas im Kopf, arbeite das nebenher schnell aus, lass es von ChatGPT prüfen, bin zufrieden mit meiner Leistung, die KI auch, die Kursleitung nicht so, aber sie hat ja auch in 30 Sekunden nicht die Zeit um drei Seiten Konzept zu lesen und sich direkt vorzustellen, was ich in 15 Minuten Prüfung machen will.
Nebenbei denk ich drüber nach, warum ich bei Frauen nur gut anzukommen scheine, wenn ich rumlaufe wie ein Opfer und dass ich ja prinzipiell schon ein paar Frauen in meinem Leben schätzen würde, auch in privater Hinsicht, aber nicht unbedingt in partnerschaftlicher Hinsicht. Letzteres liegt aber eher am Angebot oder wie Basti es ausdrückt: unseren zu hohen Ansprüchen in der heutigen Zeit. Oder daran, dass ich manchmal immer noch einem Mädchen hinterherhänge, das ich schon vor Jahren hängen ließ. Vielleicht deswegen. Viele Vielleichts und vielleicht sind wir beide einfach aktuell nicht bereit, uns näher auf Menschen einzulassen und sind deshalb ein bisschen blind in dieser Hinsicht. Wer weiß das schon. Ansprüche wieder runterschrauben ist auf jeden Fall keine Option mehr. Das ist beim letzten Mal ordentlich in die Hose gegangen und sowas wollen wir uns wirklich nicht mehr antun. Nicht selbst und nicht gegenseitig.
Außerdem ist ja dann noch diese Opfersache. Wenn ich für Frauen nur sichtbar bin, wenn ich rettbar erscheine, ist der Ausgangspunkt schon ein ganz falscher und dann steht uns auch wieder dieses Woke-Dings im Weg. Er darf dies nicht, er darf das nicht, er darf jenes nicht. Wie kannst du es als Frau nur zu lassen, ... ? Ect. Keine Basis für ein angenehmes Polymiteinander. "Wahrscheinlich hätten wir es mit Männern einfacher.", sag ich manchmal. "Vielleicht. Aber finde erstmal einen." Punkt für ihn.
Ich kann das ja schon länger beobachten, aber die letzten paar Jahre wurde doch vieles sehr absurd. Man schmeißt mit Fachbegriffen oder Bezeichnungen um sich, die man wieder versteht, noch passend sind und erwartet dann Anerkennung für... ja, was eigentlich?
Und hunderttausende andere folgen dann diesem ... ja, was eigentlich? In der Hoffnung auf Glück oder Selbstfindung oder Fame oder, oder, oder.
Wahrscheinlich lieben wir deswegen Arcane so sehr. Wir bauen uns auch gerade unsere eigene kleine Kuppel, damit wir in Zukunft so leben können, wie wir es uns wünschen: unabhängig, ehrlich, mit Entscheidungsfreiheit und stabilen Kern - während die Welt um uns an Krieg zerbricht.
Mein Handy klingelt und ich frage Basti, ob er zu Herznase fahren kann. Er nickt und ich sage zu.
Als ich ihn zur Tür rauslasse, sagen wir uns, dass wir uns lieben, ich dass er auf sich aufpassen soll und er, dass er das immer tun würde.
Ich mache mit meinem Lehrgang weiter und schreibe ein bisschen was in den Chat um bei den Gruppenarbeiten mitzuwirken und setze nebenher meine Ernährungskurse fertig ein.
Gegen zwei kommt Happy und ist wie immer die ersten zehn Minuten unglücklich, weil es ohne Mama einfach doof ist, aber dann freut es sich doch über die anderen Hunde im Ferienlager.
"Ich bring Herznase mit.", schreibt Basti. "Happy ist da.", antworte ich. "Dann wird's wieder voll." - "War ja nicht geplant... wie meistens." - "Hm ja, machst du uns dann auf, wenn wir da sind?" - "Klar."
Um kurz nach Drei sind Basti und Herznase zuhause und ich schimpfe ein bisschen darüber, das mein Konzept nicht gleich erkannt und verstanden wurde und merke schon beim Schimpfen, wie dumm das ist, weil es einfach deutlich den Zeitrahmen sprengt. Für den Kurs.
Um viertel vor Fünf ist der Lehrgang zu Ende und wir gehen Gassi.
Am Abend wird Herznase wieder abgeholt und wir gehen nochmal Gassi und einkaufen. Ich hab keine Lust mehr, heute großartig was zu tun, außerdem hab ich meine Tage bekommen, hatte wohl nur mein Zeitgefühl verloren und meine Unkonzentriertheit am Montag falsch eingeordnet. Passiert. Schmerzen sind okay, war schon viel schlimmer und ich kann einigermaßen funktionieren. Trotz des emotional überladenen Tages. Wir zocken noch ein bisschen WoW und gegen halb eins geh ich ins Bett, nachdem ich Labradorohren gereinigt, langes blondes Hundehaar gekämmt hab, mit dem alten Cupcake nochmal eine Pipi-Runde gegangen bin und mehrere Wasserschüsseln aufgestellt hab, weil es irgendwie drückend schwül ist diese Nacht.



















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